Technische Denkmale Städte und Ensembles Handel Februar 2005 H
Hamburg hat im Jahr 1871 ein Problem: Das Deutsche Reich ist gerade mit viel Pomp ein zweites Mal gegründet worden und möchte nun aufgrund seiner leidvollen kleinstaatlichen Erfahrung in der Vergangenheit ein zusammenhängendes Zollgebiet schaffen. Die Stadt aber wehrt sich, ihre Unabhängigkeit als "Freye Stadt" und als Freihandelsplatz aufzugeben. Es ist schon ein gewisser Druck von Seiten des Reichskanzlers Otto von Bismarck nötig, bis Hamburg schließlich 1881 von einem Zollanschlussvertrag überzeugt werden kann.
Mit ihrem Geschick in kaufmännischen Verhandlungen hat die Hansestadt dabei einiges herausgeschlagen: Sie erhält das Recht, einen Freihafenbezirk einzurichten, in dem das Privileg der Hamburger Kaufleute gewahrt bleibt, Importgüter zollfrei einführen, lagern und veredeln zu dürfen. Vierzig Prozent der Kosten dieses Unternehmens übernimmt das Deutsche Reich. Und Hamburg kleckert nicht: In den folgenden Jahren bebaut man an der Elbe einen Teil des Hafens komplett neu: Die Speicherstadt wird hochgezogen. Dass dabei auch ein ganzes Altstadtviertel, in dem rund 16.000 Menschen in Häusern aus dem 17. und 18. Jahrhundert leben, dem Erdboden gleichgemacht werden muss, wird in hamburgischer Kaufmannsmanier als wirtschaftliche Notwendigkeit hingenommen.
Man ist stolz auf seine Großinvestition, der Kaiser persönlich bringt 1888 am Tor der Brooksbrücke, einem der Zugänge zur Speicherstadt, die Gedenktafel an. Mit der Einweihung beginnt ein ganz besonderer Teil der Hamburger Geschichte. Über hundert Jahre lang wird die Speicherstadt - zwar in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt, aber zugleich völlig losgelöst von ihr - ein eigenes Leben führen. So sehr sich Hamburgs riesiger Hafen an der Elbe im Laufe der Zeit und im Zuge der technologischen Möglichkeiten verändert - vor allem in den 1960er Jahren mit der Umwandlung zum Containerhafen: Die im Vergleich zum Gesamthafen verschwindend winzige Speicherstadt bleibt ein wichtiger Bestandteil
Ganz im Stil der Gründerzeit in Norddeutschland präsentiert sie sich in neogotischer Backsteinarchitektur, eine Anleihe aus der sakralen Baukunst. 300.000 Quadratmeter Lagerfläche und Kontorräume wurden seinerzeit hinter mittelalterlich anmutenden Ziegelfassaden mit Türmchen, Spitzgiebeln und Kupferdächern verpackt. Auch die Tatsache, dass die altehrwürdigen hanseatischen Kaffee-, Tee- und Kakaohändler vor einigen Jahren zum großen Teil durch persische Teppichhändler abgelöst wurden, änderte nichts am rauen Charme der bis vor kurzem durch Zäune abgetrennten Welt im Zoll-Ausland. Einer Welt, in der Fußgänger nichts gelten, sich an anliefernden Lastwagen, die mit Hilfe der aus Luken bedienten Winden entladen werden, vorbeidrücken müssen.
Die trutzige, von Fleeten durchzogene Speicherstadt entwickelte sich trotz der streng überprüften Öffnungszeiten auch immer mehr zu einem touristisch bedeutenden Faktor der Stadt. Denn neben den schicken Vierteln um die Alster und an den Elbhängen und den weniger schicken wie St. Georg und St. Pauli definiert sich Hamburgs Innenstadt nach wie vor über den Hafen. Neben der obligatorischen Hafenrundfahrt, bei der die mittlerweile fast menschenleer scheinenden Containerhäfen unserer Zeit bewundert werden können, bietet sich die Speicherstadt als nostalgisches Überbleibsel des guten alten hanseatischen Handelslebens dar.
Anfang des 21. Jahrhunderts hat Hamburg wieder ein Problem: Seit 1989 setzt Berlin an, erneut führende Metropole im Land werden zu wollen. Selbst Hamburgs bis dahin unbestrittene Rolle als Medienzentrum Deutschlands wird bedroht. Gleichzeitig entdeckt man in vielen Städten das Wasser wieder. London, New York, Rotterdam, Barcelona, aber auch Düsseldorf, Frankfurt, Duisburg und Berlin besinnen sich darauf, dass ihre Stadt nicht ohne Grund einstmals an Küste oder Fluß errichtet wurde. Jetzt werden ganze Stadt- und Hafenviertel für neue Zwecke erschlossen.
In Hamburg setzt man sich zusammen und diskutiert das Problem, dass zwischen Innenstadt und Elbe die Speicherstadt wie ein "dunkles, unheimliches Tier" als Blockade liegt. Hinzu kommt: Die westlichen Hafengebiete sind wegen des Elbtunnels nicht mehr weiter ausbaufähig. Der Teil des Hafens an der südlichen Elbe andererseits braucht dringend Investitionen, um auf dem Weltmarkt weiter konkurrieren zu können. Anfang der 1990er Jahre entsteht im kleinen Kreis hinter verschlossenen Türen eine Idee: Ein neues Stadtviertel soll südlich der Speicherstadt im Hafengebiet errichtet werden. HafenCity soll es heißen, und mit dem Erlös aus den Grundstücksverkäufen kann die Stadt den Ausbau des Hafens in Altenwerder an der Norderelbe sowie die Erschließung und Infrastruktur des neuen Gebiets finanzieren.
Ein gewaltiges Unternehmen läuft an, an der gleichen Stelle, an der Hamburg sich schon einmal neu erfunden hat. Mit dem feinen Unterschied: Keiner wird zugeben, sich jemals auch nur einen Gedanken an eventuelle Abrisse erlaubt zu haben. Die Backsteinschönheit Speicherstadt, durch die die HafenCity erschlossen wird, integriert man als Portal und als "Milieugeber". Dem Gebiet wird Anfang 2003 der Freihafenstatus entzogen, seitdem darf dort Gastronomie betrieben und mit strengen Ausnahmeregelungen gewohnt werden. Manch einer zog beim Aufheben der Zollgrenze den Vergleich zum "Fall der Mauer".
In Zeiten, in denen sich Kulturwissenschaftler um das Phänomen der "schrumpfenden Städte" sorgen, setzt Hamburg mit dem Schlagwort "Wachsende Stadt" zum "Sprung über die Elbe" an. Die HafenCity, künftiger Stadtteil der Superlative, wird die Hamburger Innenstadt um 40 Prozent vergrößern. Beeindruckende Zahlen: 155 Hektar Hafengelände sollen in Wohnflächen für 12.000 und Arbeitsplätze für bis zu 40.000 Menschen umgewandelt werden. Ein lebendiges Quartier soll entstehen, man hat aus den Fehlern der Hafenprojekte anderer Städte gelernt.
Herzstück der HafenCity soll - als Pendant zum bisherigen Stadtzentrum an der Binnenalster - das Überseequartier sein, das ab 2006 errichtet wird. Auf zehn Hektar Grundfläche und 270.000 Quadratmetern ist neben Geschäften, Büros, Wohnungen, Gastronomie und Hotels eine "maritime Erlebniswelt" geplant, die mit Kultur- und Freizeitangeboten, zum Beispiel einem ScienceCenter zum Thema Wasser, einem Ozeanarium und einem Kreuzfahrtterminal, aufwarten soll.
Im Gegensatz zu Kaisers Zeiten ist man sich bewusst, dass solch massive Umstrukturierungen in einer Stadt nicht nur nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft funktionieren können, sondern gewisse Leitlinien benötigen. Die Angst vor reinen Geschäftsvierteln, die sich nach Feierabend in eine öde Geisterstadt verwandeln, steckt in allen Überlegungen. 1991 bis 2002 entstand bereits am westlichen Kehrwiederfleet - der romantische Name geht auf die sich sorgenden Frauen zurück, die hier einst ihre zu Überseefahrten aufbrechenden Männer verabschiedeten - das Hanseatic Trade Center, das mit seiner kühlen Büroarchitektur besser nicht als Maßstab für den Rest des Bebauungsgebiets dienen sollte. In Zukunft möchte die HafenCity Hamburg GmbH, die für das gesamte Projekt zuständig ist, "gehobene moderne Wohnkultur" und denkmalgeschützte Altbausubstanz, die Bereiche Dienstleistung, Handel, Kultur und Tourismus besser miteinander vereinbaren.
Ein Ansatz dafür ist ihr Informationszentrum im Kesselhaus am Sandtorkai. Einst Energiezentrale für die Speicherstadt, zuständig für deren elektrische Beleuchtung und für die Pumpen der hydraulischen Speicherwindenantriebe, dient es nun nach dem Umbau durch das Architektenbüro von Gerkan, Marg & Partner als besuchenswerte Dauerausstellung zur HafenCity.
Ziel der Planer ist es, den Charakter des Hafengeländes mit seinen Hafenbecken, den Hafenköpfen und den Kaipromenaden unbedingt zu erhalten. Die ersten Planungen konzentrieren sich auf Sandtor- und Grasbrookhafen. Am Sandtorkai werden gerade die ersten Neubauten bezogen. Diese beiden Hafenbecken waren Mitte des 19. Jahrhunderts die modernsten weltweit. Heute wird sorgfältig jeder einzelne Stein der Kaimauern geprüft und gesichert. Die städtische Denkmalpflege arbeitet gut mit den HafenCity-Planern zusammen, denn jedes Überbleibsel aus vergangenen Tagen steigert bei den 1,5 Millionen Neubau-Quadratmetern die vielbeschworene maritime Authentizität des neuen Quartiers. Welche Klientel damit angesprochen werden soll, macht der geplante Yachthafen zu Füßen der Mieter im Grasbrookhafen deutlich.
Ein temporäres Terminal - das Hamburg Cruise Center - ist im vergangenen April am Grasbrook eingeweiht worden. Seine zeitgemäßen Formen entsprechen der Lebendigkeit und Modernität, die Aushängeschilder der HafenCity werden sollen: 51 aufeinander gestapelte Container leuchten in den Farben des Meeres, verschiedenen Blautönen und Grün.
Neues Mosaikstück seit Juli 2004: Der View Point in knalligem Orange und futuristischen Formen - ein Aussichtssturm, den Interessierte ersteigen können, um sich über die Baufortschritte im neuen Stadtteil einen Überblick zu verschaffen. Er soll Kultcharakter wie die rote Infobox am Berliner Potsdamer Platz erreichen, im Gegensatz zu der aber auf der Baustelle je nach Entwicklungsstand umherwandern. Zur Zeit steht er direkt an der Elbe.
Entscheidend für das Funktionieren dieses Riesenprojekts HafenCity - man rechnet mit der Fertigstellung etwa für das Jahr 2025 - wird neben einer ausgewogenen Nutzungsvielfalt die architektonische Qualität der dauerhaften Bebauung sein. Auf jeden Fall braucht die HafenCity, gerade im Gegensatz zur einheitlichen Formensprache der Speicherstadt, bauliche Höhepunkte, ohne einen schrillen Architekturzirkus zu provozieren.
Die Umbaupläne für die historischen Kaispeicher A und B lassen Entsprechendes hoffen. Auf den Kaispeicher A, von Werner Kaimorgen in den 1960er Jahren in betont sachlichen Formen gebaut, soll die Elbphilharmonie als expressive Wellenlandschaft aufgesetzt werden. In den Kaispeicher B, ältester Speiher im Hamburger Hafen von 1879, soll nach dem Umbau 2005 das "Internationale Schifffahrts- und Meeresmuseum Peter Tamm" einziehen.
Die Frage, woher die Tausenden von Menschen in Zeiten schrumpfender Bevölkerung und strauchelnder Wirtschaft kommen werden, die hier investieren, hier wohnen, arbeiten und sich amüsieren sollen, ist indes nicht beantwortet.
Und die Speicherstadt? Schon seit längerer Zeit haben die modernen Flachlager, die mit Gabelstaplern zu bewirtschaften sind, die meisten Speicherstadtkaufleute auf die andere Seite der Elbe gelockt. Gerne möchte man, so die offizielle Seite, die Kleinteiligkeit von Hamburgs größtem Flächendenkmal bewahren, das "hafenaffine" Gewerbe erhalten - wenn, und das ist die hanseatische Einstellung zum Lauf der Dinge, wenn dieses in zehn Jahren noch weiterhin eine "wirtschaftliche Perspektive" habe. Die Verjüngungskur durch neue Mieter wie Medien- und Event-Agenturen oder Architektenbüros sei durchaus auch willkommen. Eine Veränderung, die im übrigen schon vor einiger Zeit begonnen hat.
Spannend bleibt es, die Entwicklung der gesamten Hamburger Innenstadt - die HafenCity liegt nur 800 Meter vom Rathaus entfernt - zu beobachten. Wird es gelingen, Alt und Neu zu verzahnen? Eine Vorstellung davon, wie die HafenCity in den Wünschen der Planer in ein paar Jahren aussehen soll, bot sich am 19. Juli 2004: Da kam die funkelnagelneue Queen Mary II vorbei und legte am peppigen Kreuzfahrtterminal an - und halb Hamburg wagte den "Sprung über die Elbe" und brachte Leben in den neuen Stadtteil.
Beatrice Härig
SPEICHERSTADT + HAFENCITY - Zwischen Tradition und Vision. Geschichte, Gegenwart und Zukunft eines einzigartigen Ortes zwischen alten und neuen Welten, Erinnerungen und Ausblicken. 204 Seiten mit zahlreichen Abb. in Farbe und Klappkarte. Christians Verlag, Hamburg. ISBN 3-7672-1440-7, 12 Euro.
Sie sind nur wenige Zentimeter dünn und überspannen dennoch große Hallen. Stützenfrei. Sie sind ingenieurtechnische Meisterleistungen und begeistern durch ihre kühnen Formen.
In der Dorfkirche von Behrenhoff haben sich eindrucksvolle Darstellungen des Fegefeuers erhalten.
Sie spüren Kugelsternhaufen und Satellitengalaxien auf: Heutige Astronomen können Milliarden Lichtjahre weit ins All blicken. Vor 500 Jahren – das Fernrohr war noch nicht erfunden – sah unser Bild vom Himmel ganz anders aus.
Lassen Sie sich per E-Mail informieren,
wenn eine neue Ausgabe von Monumente
Online erscheint.
Auch kleinste Beträge zählen!
Antwort auf: Direkt auf das Thema antworten
© 2023 Deutsche Stiftung Denkmalschutz • Monumente Online • Schlegelstraße 1 • 53113 Bonn
Spenden | Kontakt | Impressum | Datenschutz