Dezember 2016 S

Reise-Andenken zwischen Kunst und Kitsch

Die weite Welt im Wohnzimmer

Wer auf Reisen geht, bringt Erinnerungsstücke mit – Märkte für Souvenirs florieren seit der Antike.

Der Hamburger Michel als Schlüsselanhänger, die Loreley als Flaschenöffner und das Heidelberger Schloss auf dem Bierkrug – die Souvenirläden landauf, landab sind voll von billigem Nippes. Für wie „sehenswürdig“ ein Ort gehalten wird, lässt sich auf der ganzen Welt scheinbar an der Dichte der Andenkenstände messen. Doch wer dies als eine Begleiterscheinung des modernen Massentourismus abtut, liegt falsch. Seit Menschen auf Reisen gehen, haben sie das Bedürfnis, Dinge mitzunehmen, die Erinnerung lebendig zu halten und den Daheimgebliebenen einen handfesten Beweis zu liefern. Das Souvenir taugt als Medium, um auch zu Hause von der magischen Aura eines Wallfahrtsortes zu profitieren, den Hauch des Exotischen zu bewahren oder einfach ein wenig Urlaubsstimmung in den Alltag zu retten.


Der Begriff ist abgeleitet vom französischen „se souvenir“ (sich erinnern). Erst im Lauf des 18. Jahrhunderts wurde er mit etwas Greifbarem wie einer Locke im Medaillon verbunden, das der Vergegenwärtigung einer Person dienen soll. Im 19. Jahrhundert bürgerte sich das Wort dann als Synonym für Reiseandenken ein.


Selbst ein Serienprodukt bekommt als Souvenir eine individuelle Komponente. Ob handgefertigt oder „made in China“ – der Kauf ist mit persönlichen Eindrücken verknüpft. Der Umstand, dass eine Reise oft als etwas Einmaliges, nicht zu Wiederholendes angesehen wird, macht auch das Andenken einzigartig.

Andenken aus Rüdesheim: Das beliebteste Deutschland-Souvenir – die nicht nur in Taiwan produzierte, sondern im Schwarzwald immerhin noch mit handwerklicher Sorgfalt hergestellte Kuckucksuhr – wird hier auf Mini-Plastik-Kitsch reduziert.
© Elmar Lixenfeld, Frankfurt am Main
Andenken aus Rüdesheim: Das beliebteste Deutschland-Souvenir – die nicht nur in Taiwan produzierte, sondern im Schwarzwald immerhin noch mit handwerklicher Sorgfalt hergestellte Kuckucksuhr – wird hier auf Mini-Plastik-Kitsch reduziert.

Früher Andenkenkult

Wer im alten Rom zur Oberschicht zählte, nutzte das gut ausgebaute Verkehrssystem, um Bildungs- und Badereisen zu unternehmen. Im Sommer erholten sich die Reichen in den Albaner Bergen und am Golf von Neapel. Dort konnte man kleine gravierte Glasflaschen mit dem Panorama der Küste oder mit Stadtansichten erwerben. Auch die berühmten Heiligtümer und Monumente lockten Besucher an, erst recht, wenn sie als Weltwunder klassifiziert waren: Athen, Olympia oder Delphi, die Artemis von Ephesos und die Pyramiden von Gizeh waren bevorzugte Ziele betuchter Römer zur Kaiserzeit. Man kann davon ausgehen, dass an diesen frequentierten Stätten kunsthandwerkliche Waren speziell für Reisende hergestellt wurden. Die in Wirklichkeit kolossale Goldelfenbeinstatue der Athena Parthenos kursierte jedenfalls in unzähligen Miniaturnachbildungen. Und aus der Apostelgeschichte (Kap. 19) wissen wir von den Silberschmieden in Ephesos, die mit kleinen Artemis-Tempelchen ein gutes Geschäft machten.


Die Übergänge zwischen Devotionalien – religiösen Erinnerungsobjekten – und Souvenirs waren schon im Altertum fließend. Mit den ersten Pilgern der christlichen Antike, etwa zum Grab des heiligen Menas in Unterägypten, etablierte sich eine Art des Reisens, die den Handel mit Andenken zu einer bis in die heutige Zeit anhaltenden Blüte trieb. Die Anziehungskraft von heiligen Orten begründete eine ernstzunehmende Branche und ernährte Generationen von Handwerkern.

Modelle der Jerusalemer Grabeskirche stellten im 17. und 18. Jahrhundert exklusive Pilgerandenken dar. (Olivenholz mit Perlmuttintarsien, Bayerisches Nationalmuseum München, Leihgabe aus der Orban-Sammlung der Ludwig-Maximilians-Universität München)
Modell der Jerusalemer Grabeskirche © Bayerisches Nationalmuseum München, Foto: Marianne Stöckmann
Modelle der Jerusalemer Grabeskirche stellten im 17. und 18. Jahrhundert exklusive Pilgerandenken dar. (Olivenholz mit Perlmuttintarsien, Bayerisches Nationalmuseum München, Leihgabe aus der Orban-Sammlung der Ludwig-Maximilians-Universität München)

Seit dem Mittelalter war nach Rom oder Santiago de Compostela das Heilige Land höchstes Ziel der christlichen Pilger. Wer einmal die lange und riskante Fahrt nach Palästina auf sich genommen hatte, der wollte nicht mit leeren Händen zurückkehren. In Jerusalem florierte über Jahrhunderte der Handel mit Ampullen, in denen Wasser, Öl und Erde den Weg in die Heimat fanden. Allerdings wurde nicht jedes Stück, das himmlische Kraft versprach, rechtmäßig erworben: Pilger erschienen an den heiligen Stätten sogar mit Werkzeug bewaffnet, um Steine und ganze Felsbrocken abzuschlagen. Neben solchen als Sekundärreliquien begehrten Andenken waren unter kaufkräftigen Reisenden auch profane Mitbringsel beliebt. Man erwarb kostbare Stoffe, Schmuck oder exotische Tiere für sich selbst und für die Angehörigen. An Jerusalemfahrer von hohem Stand und entsprechendem Geldbeutel richtete sich ein exklusives Souvenir-Angebot: Im 17. und 18. Jahrhundert waren Miniatur-Nachbildungen des Heiligen Grabes oder der Grabeskirche en vogue. In der heimischen Sammlung lieferten die aus edlen Hölzern, Stein oder Perlmutt gefertigten Modelle den kunstvollen und prestigeträchtigen Nachweis der absolvierten Reise.


Im Spätmittelalter gewannen die Kurzwallfahrten zu regionalen Pilgerstätten an Bedeutung. An wichtigen geistlichen Zentren wurden Abzeichen ausgegeben, die für alle Gläubigen erschwinglich waren. Mithilfe von Modeln in einer Zinn-Blei-Legierung hergestellt, zeigten die Reliefs meist die mit dem jeweiligen Ort verbundenen Heiligen. Seinen Höhepunkt fand dieser frühe Massenartikel im 14. und 15. Jahrhundert. Den Rekord hielt wohl das Kloster im schweizerischen Einsiedeln: Zur Engelweihe von 1466 wurden innerhalb von zwei Wochen 130.000 Pilgerzeichen verkauft. Mit einer Öse versehen, konnten die Plaketten auf die Kleidung oder Kopfbedeckung genäht werden und dienten, wie die Jakobsmuschel, auch der Erkennung. Nach der Rückkehr wurden die Pilgerzeichen oft im oder am Haus angebracht und sollten dort ihre heilkräftige Wirkung entfalten.


Auf der Grand Tour

Mit der Neuzeit etablierte sich eine Reiseform jenseits religiöser Interessen, die allein der Bildung dienen sollte. Neben Reisen von Gelehrten war es die Grand Tour, die den männlichen Nachwuchs aus den europäischen Adelshäusern zum Aufbruch in die Fremde trieb. Sie gehörte von der zweiten Hälfte des 16. bis zum 18. Jahrhundert zum Pflichtprogramm der höfischen Erziehung und wurde oft auf mehrere Jahre ausgedehnt. Man durchquerte England, Frankreich, Spanien und vor allem Italien, studierte Sitten und Gebräuche, übte sich im Zeremoniell und schulte das Auge an der Natur, an bedeutenden Monumenten, Ausgrabungsstätten und Kunstsammlungen. Erklärter Höhepunkt jeder Kavaliersreise war Rom, wo die Besichtigung der Altertümer oberste Priorität hatte. Seit dem 18. Jahrhundert wurden diese Bildungs-Rundreisen gleichfalls von den bürgerlichen Eliten unternommen.


In der Bibliothek seines Wörlitzer Schlosses bewahrte Fürst Franz die auf Reisen gesammelten Gesteinsproben in hölzernen Kästen auf.
Schloss Wörlitz, Bibliothek © Kulturstiftung DessauWörlitz, Heinz Fräßdorf
In der Bibliothek seines Wörlitzer Schlosses bewahrte Fürst Franz die auf Reisen gesammelten Gesteinsproben in hölzernen Kästen auf.

Neben den gesammelten Erfahrungen und dem erworbenen Wissen häufte man auch materielle Reise-Andenken an: Bücher, Porzellan und Kunstgegenstände wurden für die fürstliche Familie und zur Vervollständigung der heimischen Sammlung gekauft. Zu den beliebtesten Artefakten zählten verkleinerte Nachbildungen antiker Kunstwerke und Bauten, Elfenbeinreliefs nach Art antiker Kameen sowie Münzen und Medaillen. Doch die Herren gönnten sich nebenbei ganz persönliche Erinnerungsstücke. Reißenden Absatz als Souvenir von der Grand Tour fanden die Veduten – ein Genre, das Canaletto und Piranesi im 18. Jahrhundert zur Vollendung führten. Mal wirklichkeitsgetreue, mal idealisierte Ansichten von Landschaften und Städten, von zeitgenössischen Bauten und antiken Ruinen wurden als Kupferstiche vervielfältigt und als Einzelblätter oder Sammelwerke angeboten.


Die Antikenbegeisterung trieb fragwürdige Blüten, wenn es den originalen Überbleibseln an die Substanz ging. Mancher vornehme Tourist trachtete nach ‚authentischen‘ Souvenirs und sicherte sich Teile von historischen Bauten. Auch Steine von geologischer Bedeutung waren gefragt: Wer sie nicht eigenhändig zusammenklauben wollte, konnte sein wissenschaftliches Interesse mit einem fertig bestückten Setzkasten bezeugen.


Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau legte da besondere Leidenschaft an den Tag. Der junge Fürst begab sich zwischen 1765 und 1768 auf mehrere große Reisen durch Europa. Neben Kunst und Kunsthandwerk sammelte er Mineralien, Gesteinsproben und archäologische Fundstücke, darunter eine fossile Auster vom englischen Landsitz Stowe, aus Rom eine antike Marmorplatte „aus der Grotte der Nymphe Egeria“ sowie ein Fragment „aus dem Bad der Livia Augusta“, aus Neapel ein „Stein vom Grabe des Virgils“. Mit all diesen Andenken wusste er das persönliche Erlebnis durch den Bezug zur Historie zu überhöhen. Bezeichnenderweise hatte er jene Stücke nicht zur Ausstellung vorgesehen, sondern verwahrte sie in der Bibliothek seines Wörlitzer Schlosses in geheimen Schubfächern. Während er sich auf diese Weise eine intime Erinnerung vorbehielt, dachte der aufgeklärte Regent bei der Konzeption seines Gartenreichs in anderen Dimensionen: Mit den diversen Bauten in seinen Dessau-Wörlitzer Anlagen ließ er seine Reiseeindrücke sogar in Architektur überführen – für sich und für seine Untertanen. Fürst Franz hätte, nebenbei bemerkt, das Abschlagen von Steinen auf seinem eigenen Grund wohl unnachgiebig geahndet. In seiner zwei Jahrzehnte später verfassten Parkordnung verbat er sich ausdrücklich jede Beschädigung.

Erinnerungsstück aus Baden-Baden: Das Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Glas zeigt das von Friedrich Weinbrenner errichtete Conversationshaus (heute Kurhaus).
Baden-Baden, Souvenirpokal © Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Thomas Goldschmidt
Erinnerungsstück aus Baden-Baden: Das Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Glas zeigt das von Friedrich Weinbrenner errichtete Conversationshaus (heute Kurhaus).

Erinnerung an die Badekur

Eine Reise, die nicht allein den Herren vorbehalten war, sondern die auch die Damen des Adels und später des gehobenen Bürgertums zu schätzen wussten, war die Badekur. Orte wie Karlsbad oder Pyrmont, wegen ihrer Heilquellen gerühmt, verzeichneten seit der Frühen Neuzeit einen enormen Aufschwung. Im Lauf des 17. Jahrhunderts setzte sich vielerorts die Trinkkur durch: Man spazierte zum Mineralbrunnen, flanierte auf der Promenade und pflegte die Konversation und das gesellschaftliche Leben. So fanden die Brunnengläser bald ihren viel wichtigeren Zweck als Andenken. Aus edlem Kristall geschliffen, mit gemalten oder geschnittenen Ansichten, waren sie begehrt als Mitbringsel oder zur sehr persönlichen Erinnerung an den langen Kuraufenthalt. In den Traditionsbädern standen die Produkte aus den schlesischen und böhmischen Glashütten während der Saison zu Tausenden in den Läden.


Eine Besonderheit hatte das westböhmische Karlsbad mit seinen Sprudelsteinwaren zu bieten: Die dortigen Thermalquellen bringen Aragonit hervor. Das Mineral mit den feinen Farbabstufungen wurde zu Schmuck, Tabakdosen oder Briefbeschwerern verarbeitet und bestimmte den Souvenirhandel bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Goethe, der zwischen 1785 und 1820 regelmäßig hier kurte, war ebenfalls beeindruckt vom Sprudelstein, wenn auch mehr aus wissenschaftlicher Perspektive. Mit gleichgesinnten Naturfreunden häufte er Musterstücke an, „an denen man das Andenken der größten Gegenstände wieder beleben“ konnte. Der Dichter verbrachte viel Zeit mit dem Steinschneider und Mineralienhändler Joseph Müller. Über die kunsthandwerklichen Objekte hinaus bot dieser den Kurgästen ab 1806 Steinsammlungen an. Jene „Carlsbader Suiten“ – hölzerne Kästen mit verschiedenen rohen und geschliffenen Steinen – wurden dann ergänzt durch eine Begleitschrift Goethes vertrieben.

Andenkenporzellan um 1850: Blick auf das Siebengebirge mit Drachenfels (Königswinter, Siebengebirgsmuseum)
Drachenfels, Andenkenteller © Siebengebirgsmuseum / Heimatverein Siebengebirge, Königswinter
Andenkenporzellan um 1850: Blick auf das Siebengebirge mit Drachenfels (Königswinter, Siebengebirgsmuseum)

Im Zeichen des Massentourismus

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte die Entwicklung des modernen Tourismus gewaltige Fortschritte – während Adel und Großbürgertum sich neue standesgemäße und exklusive Urlaubsdestinationen erschlossen. Zwar war die Vergnügungs- und Erholungsreise immer noch privilegierten Bürgern vorbehalten, doch ermöglichten die verkehrstechnischen Errungenschaften nun auch Aufenthalte von kürzerer Dauer. Das Angebot von organisierten Gruppen- und Gesellschaftsfahrten trug ebenfalls zur Popularisierung und Kommerzialisierung bei.


Die fortschreitende Demokratisierung des Reisens ließ sich nicht zuletzt am Souvenirangebot ablesen. In dem Maße, in dem sich der Fremdenverkehr zu einem selbstständigen Wirtschaftszweig entwickelte, boomte auch der Andenken-Markt und kurbelte die kunstgewerbliche Produktion an. Mit dem Aufkommen des Massenreisens geriet das Souvenir schnell zum Serienartikel. Diverse Schmuck- oder Gebrauchsgegenstände erhielten die Form oder das Abbild der frequentierten Sehenswürdigkeiten. An der Schwelle zum 20. Jahrhundert war die bis heute gültige Produktpalette fast komplett: Neben den Miniaturen von Gebäuden und Denkmälern gab es Andenken-Porzellan in Gestalt von Tassen, Tellern, Blumenvasen oder Dosen sowie Gläser, Anstecknadeln, Spazierstock-Abzeichen und Postkarten.


Hatte man sich zum Beispiel in den 1860er-Jahren in einer Bude auf dem Drachenfels noch auf heimische Mineralien beschränkt, blühte zum Ende des Jahrhunderts in ganz Königswinter der Handel mit vielfältigen „Erinnerungszeichen an das Siebengebirge“. Bilder von den besuchten Orten konnte bald ein jeder bewahren und herzeigen: Die Ansichtspostkarte – ein Medium mit einer eigenen Geschichte – hatte in der Kaiserzeit ihren unaufhaltsamen Siegeszug angetreten. Der hochwertige Porzellanteller mit Kaltmalerei wurde von Seriengeschirr abgelöst. Mittels Umdrucktechnik versah man Steingutwaren schon um 1830 in halbindustriellem Verfahren mit Dekor. Das einst exklusive Vedutenglas aus dem Badeort wich schließlich dem simplen Andenkenglas mit Abziehbild.

Der Materialwert und der Preis der Erinnerungsstücke tendierten immer weiter nach unten, und der Versuch, das vermeintlich Charakteristische eines Ortes auf wenige Zeichen zu reduzieren, führte zwangsläufig zu einer Trivialisierung der Andenken. Dies wurde aus berufenen Mündern schon früh kritisiert. Paul Clemen, erster amtlicher Denkmalpfleger im Rheinland, wetterte 1910 gegen die Souvenirbuden am Drachenfels und „das aufdringliche Anpreisen von minderwertigen Darbietungen in so widerlich abstoßender Form“. Die Unangemessenheit von Größe, Form und Material schien immer mehr zu einem Wesensmerkmal des Souvenirs zu werden. An den hehren Erinnerungsorten deutscher Geschichte stieß das umso deutlicher auf – allerdings nur den Hütern des guten Geschmacks. Die Nachfrage regelten die Käufer, und die störten sich nicht an der Fallhöhe in die Banalität. Je erhabener und monumentaler das Original, desto stärker war offenbar der Wunsch, via Kleinformat zu dokumentieren, dass man da gewesen war. Das Niederwalddenkmal oder das Leipziger Völkerschlachtdenkmal schafften es auf Aschenbechern, Mokkalöffeln, Zinntellern oder Tischläufern in Abertausende Wohnzimmer.


Ruf nach Qualität

Auf der Wartburg gingen die Andenken in Serie, nachdem sie mit ihrer Wiederherstellung ab 1853 endgültig zum Nationaldenkmal avanciert war. Offizielle Souvenirs hatte man schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Handarbeit gefertigt – wohl auch um der illegalen Devotionalien-Jagd Herr zu werden. Frühere Besucher hatten mit Vorliebe Holzspäne vom Schreibtisch in der Lutherstube oder Putzstückchen aus der Wand mit dem legendären Tintenfleck gekratzt, den man unzählige Male nachpinseln musste. Nicht nur in und um Eisenach, sogar im Ausland wurden Wartburg-Andenken produziert. Das Angebot umfasste die übliche Reihe vom Kaffeeservice über den gläsernen Briefbeschwerer bis zum Nadelkissen in Holzpantinenform.

Zum Lutherjahr 1917 wurde diese Porzellanminiatur der Lutherstube in der Wartburg auf den Markt gebracht (Lutherhaus Eisenach).
Eisenach, Lutherhaus, Porzellanminiatur © Stiftung Lutherhaus Eisenach, André Nestler
Zum Lutherjahr 1917 wurde diese Porzellanminiatur der Lutherstube in der Wartburg auf den Markt gebracht (Lutherhaus Eisenach).

Obwohl vertraglich bestimmt war, dass sich die Erinnerungsgegenstände „dem Charakter der Burg anschließen“ sollten, waren die Kritiker unzufrieden und forderten die Kunstgewerbeschulen und Kunsthochschulen auf, sich um gute, der Heimatkunst verpflichtete Reiseandenken zu bemühen. Henry van de Velde, der Direktor der Weimarer Kunstgewerbeschule, plädierte dafür, eine Kommission einzusetzen und die heimischen Industriebetriebe durch Preisausschreiben zu unterstützen.
1931 entwarf Hermann Hosaeus sechs kleine Wandkonsolfiguren aus Terrakotta, die mit der Burg eng verbundene Persönlichkeiten darstellten. Produktion und Vertrieb gingen offenbar schleppend voran, sodass der Bildhauer sich bitter enttäuscht zeigte: „Der Kitsch-Kümmel wird umweht vom Duft der Thüringer Bratwurst weiter blühen.“


Auch zu DDR-Zeiten gab es Bestrebungen, das Nationaldenkmal mit würdigen Andenken zu verknüpfen – viele Projekte scheiterten allerdings am Materialmangel. In den 1950er-Jahren befasste sich der wissenschaftliche Beirat sogar eingehend mit dem Entwurf für Stocknägel. Ambitioniertere Produkte der späteren Jahrzehnte waren Objekte der Thüringer Glashütten, Schnitzwaren aus dem Erzgebirge oder Bad Kösener Spielzeug.


In Ost und West wurden immer wieder Forderungen laut, für „gute Reiseandenken“ zu sorgen, Entwürfe mit künstlerischem Niveau zu propagieren und regionale Handwerkstechniken und -betriebe zu berücksichtigen. Diverse Wettbewerbe und Ausstellungen trugen dem bis in die 1970er-Jahre Rechnung.

Alles nur Kitsch?

Unter den oft belächelten Geschmacksverirrungen sticht ein typisch deutsches Phänomen hervor: das Baumscheiben-Wandbild. Entstanden bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts, erfreute sich dieses Souvenir durch das gesamte 20. Jahrhundert hindurch großer Beliebtheit. Dazu hat man Fotopostkarten auf eine ovale Birken- oder Kiefernholzscheibe mit sichtbarer Rinde montiert, teilweise übermalt und mit applizierten Moosen oder gipsernen Tierköpfen versehen. Kurioserweise wurden auf diese Weise nicht nur märchenhafte Landschaften und bäuerliche Motive, sondern gleichfalls urbane Architekturen der Nachkriegszeit erinnerungswürdig aufbereitet. Dass große Kunst und schnöder Tand manchmal gar nicht so weit auseinanderliegen, mag folgende Anekdote dokumentieren: Der heute auf dem globalen Kunstmarkt Höchstpreise erzielende Gerhard Richter hat sich in sehr jungen Jahren ein Zubrot verdient, indem er Tannenwälder auf Baumscheiben malte.


Das Souvenir sollte immer auch ein Stück heile Welt mit nach Hause bringen. Was könnte dies besser verkörpern als die Schneekugel? Mit diesem Mikrokosmos unter der Haube wurde ein reiner Souvenirgegenstand erfunden, der keine Funktionalität mehr vortäuschte. Der Prototyp war auf der Pariser Weltausstellung von 1878 zu sehen. In den 1950er-Jahren ging die Kugel von Deutschland aus in Serie. Seither rieselt unaufhörlich glimmernder Kunstschnee auf röhrende Hirsche, Schwarzwaldmädel, Märchenfiguren, auf das Brandenburger Tor und Schloss Neuschwanstein.

Ein Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz einmal anders: Burg Eltz, das Bild der deutschen Ritterburg schlechthin, in Kunststein.
Burg Eltz © Archiv DSD
Ein Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz einmal anders: Burg Eltz, das Bild der deutschen Ritterburg schlechthin, in Kunststein.

Die Definition von Kitsch unterliegt Moden. Mittlerweile hat selbst Andenkentalmi als Zeugnis der Alltagskultur seinen Stellenwert, wird gesammelt und in Museen ausgestellt oder daheim mit ironischer Distanz inszeniert. Die huldvolle Präsentation in der Wohnzimmervitrine ist passé, und der Umgang mit Souvenirs pragmatischer geworden. Die klassische Gedenkmünze prägt man sich heute selber am Automaten oder sie dient als Einkaufswagenchip.


Neben der Einheitsware an den Kiosken findet man in besser sortierten Läden immer öfter inspirierte Souvenirs, die die Alleinstellungsmerkmale der sehenswerten Orte auf witzige Weise aufgreifen, die originelles Design mit guten Materialien verknüpfen. Unter den zeitgenössischen Mitbringseln hat sich eine Kombination von Kulinarischem und Miniatur etabliert, die auf den bleibenden Wert nichts gibt. Berühmte Monumente kann man sich als Schokolade, Keks oder Nudel einverleiben. Der Bamberger Reiter und der Kölner Dom sind als Fruchtgummi zu haben. Auch Welterbe will vermarktet sein.
Im besten Fall nützen Souvenirs sogar der Erhaltung von Baudenkmalen. Die Kölner Dombauhütte bietet regelmäßig ungewöhnliche Exemplare an: Müssen kleine Teile ersetzt werden, kann man Mauerbrocken mit Echtheitszertifikat ergattern. Vielerorts wandert der Erlös verkaufter Andenken in den Restaurierungstopf.


Das Bedürfnis nach materiellen Mitbringseln von Reisen wird wohl nie vergehen. Bis heute verursacht die Jagd nach dem originalen Erinnerungsstück weltweit große Schäden an Kultur- und Ausgrabungsstätten. Ob Kunst oder Kitsch, jedes Souvenir hat seine Berechtigung – vor allem, wenn es die Touristen vom Trümmerklau abzuhalten vermag.   

Bettina Vaupel

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