Technische Denkmale Technik Menschen für Monumente August 2015

Die ehemalige Heeresversuchsanstalt in Peenemünde

Raketen, Rost & Restaurierung

Die ehemalige Heeresversuchsanstalt in Peenemünde ist ein Ort, der schwierig zu handhaben ist. Aber dennoch: Das dortige Historisch-Technische Museum und die Gemeinde gehen mit großen Schritten in die Zukunft. Und die Jugendbauhütte Stralsund/Szcecin hat eine großartige Einsatzstelle gefunden.

2015 - ein Jahr mit einem bedeutenden und zugleich komplizierten Jubiläum: Siebzig Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vergangen. Zahlreiche Gedenkveranstaltungen werden daran erinnern.

Hier fand gleichzeitig bahnbrechende Technik- und grauenhafte Kriegsgeschichte statt: Im Kraftwerk der ehemaligen Heeresversuchsanstalt in Peenemünde befindet sich heute ein Museum und außerdem eine Einsatzstelle der DSD-Jugendbauhütte Stralsund/Szczecin. 
Peenemünde, ehemalige Heeresversuchsanstalt © Historisch-Technisches Museum Peenemünde Gmbh
Hier fand gleichzeitig bahnbrechende Technik- und grauenhafte Kriegsgeschichte statt: Im Kraftwerk der ehemaligen Heeresversuchsanstalt in Peenemünde befindet sich heute ein Museum und außerdem eine Einsatzstelle der DSD-Jugendbauhütte Stralsund/Szczecin.

Die Mitarbeiter des Historisch-Technischen Museums in Peenemünde wissen, wie schwierig der angemessene Umgang mit Vergangenheit sein kann. Am 3. Oktober 1992 scheiterte der Versuch des Bundes, zum Festakt "50 Jahre Raumfahrt. Erbe - Verpflichtung - Perspektive" nach Peenemünde auf Usedom einzuladen. Anlass war der fünfzigste Jahrestag des ersten Starts einer Rakete des Typs A 4 (Aggregat 4) an diesem Ort. "Die Geburtsstunde der Raumfahrt", eine "wissenschaftliche und technische Pionierleistung, (...) die den Menschen in das All und auf den Mond brachte", sollte gefeiert werden. Der "anfänglich tragische(n) Nutzung der neuen Technik im Zweiten Weltkrieg" gedachte man nur in einem Nebensatz. Das löste in Europa so große Empörung aus, dass es zu diplomatischen Verstimmungen zwischen London und Bonn kam. Der Festakt wurde in letzter Minute abgesagt.

Dabei hatte alles scheinbar unschuldig angefangen: In den 1920er-Jahren befindet sich die ganze Nation im Raketenfieber. Fritz Lang dreht die "Frau im Mond". Romane, Filme, Zeitschriften, Vereine und Vorträge ziehen die Massen an. Man träumt vom Menschen im All.

Blick in die Dauerausstellung im Schalthausanbau, die Mythos und Schrecken der Raketenforschung beleuchtet 
Peenemünde, ehemalige Heeresversuchsanstalt © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Blick in die Dauerausstellung im Schalthausanbau, die Mythos und Schrecken der Raketenforschung beleuchtet

Gefördert wird die Raketenaufregung im Geheimen allerdings schon zu diesem Zeitpunkt von der Reichswehr, die sich viel von der Fernrakete als zukünftiger Waffe verspricht. Die Weltraumbegeisterung verliert ihre Naivität endgültig, als die Nationalsozialisten auf der Nordspitze von Usedom das Fischerdorf Peenemünde dem Erdboden gleichmachen und ab 1936 an seiner Stelle das Raketenentwicklungszentrum einrichten. Nun steht nicht mehr Weltraumforschung, sondern ausschließlich die Waffenentwicklung auf dem Programm. Den hochqualifizierten Ingenieuren, allen voran Wernher von Braun (1912-77), erscheint Peenemünde, die Wissenschaftskolonie, fast wie ein Paradies. Ein riesiges Gebiet kann ungestört genutzt werden - das neue Peenemünde, in dem 15.000 Menschen leben, ist eine "geheime Stadt". Einzig der Erfolgsdruck lastet auf den Gemütern, einige Fehlstarts des A 4 gehen dem ersten gelungenen Raketenstart am 3. Oktober 1942 voraus. Mit dem für das deutsche Militär zunehmend ungünstigen Kriegsverlauf setzen Hitler und Speer ihre ganze Hoffnung auf die "Wunderwaffe". Bis zum 20. Februar 1945 werden von Peenemünde Hunderte Raketen vom Typ A 4/V 2 abgeschossen. Kurz danach verlassen die führenden Köpfe wie von Braun den Ort, um später in den USA ihre glänzende Karriere als Raumfahrtingenieure bis zur Mondlandung 1969 fortzuführen.

Heute, siebzig Jahre später, nach sowjetischer Besatzung und NVA-Nutzung des Gebietes, ste-hen noch zwei der großen Gebäude der ehemaligen Heeresversuchsanstalt: das ruinöse Sauer-stoffwerk und das riesige Kraftwerk. Im Schalthausanbau des letzteren befindet sich seit 2001 die vorbildlich eingerichtete Ausstellung des Historisch-Technischen Museums. Man versucht, die Erinnerungsarbeit fein zu justieren: Einerseits ist die Ideenschmiede einer forschenden Elite zu präsentieren, die die gesamte Nordspitze der Halbinsel als ideale Wirkungsstätte nutzen konnte. Andererseits wird ebenso sorgfältig das unendliche Elend dokumentiert, das mit den wissenschaftlichen Erfolgen des deutschen Raketenbaus einherging: Nicht von ungefähr brannte sich die Rakete A 4 unter dem Namen V 2 ins kollektive Gedächtnis ein. V stand für Vergeltungswaffe, von Joseph Goebbels persönlich umbenannt. Sie - wie die ebenfalls in Peenemünde entwickelte V 1 - trug seitdem das Ziel im Namen, für das sie auch gebaut wurde. Über 6.000 Menschen starben infolge der V 2-Abschüsse auf England, Frankreich, Belgien und Holland.

Doch weitaus mehr Menschen kamen unabhängig von den Bombardierungen durch die V 2 ums Leben. 15.000 Menschen, so schätzt man, starben in den Konzentrationslagern beim Bau der A 4/V 2. Ein Teil als Zwangsarbeiter und Häftlinge direkt auf dem Gelände in Peenemünde - die Lager waren nicht weit entfernt von den wegen der schönen Lage an der Ostsee begehrten Siedlungen der Mitarbeiter. Weitere im KZ Mittelbau-Dora bei Nordhausen: Seit den ersten alliierten Bombardierungen der Heeresversuchsanstalt 1943 wurde der Raketenbau im Harz in einer unterirdischen Fabrik unter dem Berg Kohnstein fortgeführt.

Um das ehemalige Kraftwerk in Peenemünde liegen 25 Hektar einstiges Versuchsanstaltsgebiet, dessen sich die Natur seit Kriegsende weitgehend ungehindert bemächtigt hat. Ein schwieriges Erbe, zweifellos. Fast ein Dutzend sogenannter Prüfstände verteilten sich über Usedoms Norden. Wo früher die Raketen gezündet wurden, gluckert heute Brackwasser im zerbröselnden Beton.

Stiftung Denkmalschutz, Bonn Die Karte zeigt die Dimensionen des ehemaligen Raketenversuchsgeländes: 25 Quadratkilometer umgeben die wenigen baulichen Überreste wie das Kraftwerk mit dem Museum. 
Peenemünde, ehemalige Heeresversuchsanstalt © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Stiftung Denkmalschutz, Bonn Die Karte zeigt die Dimensionen des ehemaligen Raketenversuchsgeländes: 25 Quadratkilometer umgeben die wenigen baulichen Überreste wie das Kraftwerk mit dem Museum.

Eine riesige Erinnerungslandschaft, eines der ausgedehntesten Flächendenkmale Deutschlands, bestehend aus Kiefernwald, Moor und Dünen, durchzogen von löcherigen Plattenwegen, im Wald verlaufenden Bahnsteigkanten und Unterführungen sowie Kilometern von bröckelnden Betonzäunen. Eine Landschaft, die Naturschutzgebiet und noch immer von Blindgängern der alliierten Bomber gespickt ist.

Der Mahnmal-Charakter der erhalten gebliebenen Gebäude der Heeresversuchsanstalt soll aber nicht gleichbedeutend mit Stillstand sein: Mit Fingerspitzengefühl diesen symbolträchtigen Ort der Welt zu vermitteln und gleichzeitig seine Zukunft zu sichern, ist die diffizile Aufgabe, der sich Museumsmitarbeiter, Gemeinde und Land verschrieben haben.

Vor einem Jahr wurden neue, bisher nicht zugängliche Bereiche des riesigen Peenemünder Kraftwerks für Besucher geöffnet. Es gilt heute als das größte Industriedenkmal Mecklenburg-Vorpommerns. Im November 1942 in Betrieb genommen, sicherte es die Stromversorgung. In ei-nem energieaufwendigen Verfahren musste flüssiger Sauerstoff erzeugt werden, der neben Alkohol die Treibstoffkomponente der Rakete Aggregat 4 bildete.

Aber es gibt auch eine Geschichte nach 1945: Die Energie- und Wirtschaftspolitik der DDR soll als Thema aufgearbeitet - das Kraftwerk wurde bis 1991 betrieben - sowie Peenemünde als NVA-Standort und als strategisch wichtiger und streng abgeschirmter Einsatzort im Kalten Krieg ins Gedächtnis gerufen werden. Es handelt sich dabei immerhin um über 40 Jahre weltprägende Geschichte, und die Zeitzeugen werden nicht jünger.

Das Museum in Peenemünde möchte Vergangenheit und Gegenwart verbinden. Energiegewinnung als solche wird Ausstellungsthema: Ein gläserner Aufzug im Kraftwerk befördert ab Frühjahr dieses Jahres die Besucher auf das Dach des Denkmals. Von dort bringt der Blick vom ehemaligen Kohlekraftwerk über den geplanten Solarenergiepark bis zum Atomkraftwerk in Lubmin einen Über- und Ausblick auf die Methoden der Energiegewinnung.

© Historisch-Technisches Museum Peenemünde GmbH
© Historisch-Technisches Museum Peenemünde GmbH
Die neue Ausstellung im Kesselhaus des Peenemünder Kraftwerks .
©  Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Auf einer Gesamtfläche von ca. 1000 Quadratmeter können die Besucher im historischen Kesselhaus mehr über die Geschichte dieses größten Industriedenkmals des Landes Mecklenburg-Vorpommerns erfahren.
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ausstellungsraum im Schaltanbauhaus
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Zurückhaltende Stelen mindern nicht das einschüchternde Raumerlebnis.
© Historisch-Technisches Museum Peenemünde Gmbh
© Historisch-Technisches Museum Peenemünde Gmbh
Nur ein kleiner Teil eines riesigen, historisch besetzten Geländes: Das Kraftwerk wurde innerhalb von zweieinhalb Jahren von Zwangsarbeitern gebaut und 1942 in Betrieb genommen. Es produzierte noch bis 1991 Strom und Wärme.
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Eine denkmalpflegerische Herausforderung stellt die Erschließung des Kraftwerks für Besucher dar. Einige Teile der Maschinen sind mit Asbest kontaminiert. Man hat das Problem durch Glasvitrinen gelöst.
 
 
© Historisch-Technisches Museum Peenemünde GmbH
Die neue Ausstellung im Kesselhaus des Peenemünder Kraftwerks .
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Auf einer Gesamtfläche von ca. 1000 Quadratmeter können die Besucher im historischen Kesselhaus mehr über die Geschichte dieses größten Industriedenkmals des Landes Mecklenburg-Vorpommerns erfahren.
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Ausstellungsraum im Schaltanbauhaus
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© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Zurückhaltende Stelen mindern nicht das einschüchternde Raumerlebnis.
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Nur ein kleiner Teil eines riesigen, historisch besetzten Geländes: Das Kraftwerk wurde innerhalb von zweieinhalb Jahren von Zwangsarbeitern gebaut und 1942 in Betrieb genommen. Es produzierte noch bis 1991 Strom und Wärme.
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© Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Eine denkmalpflegerische Herausforderung stellt die Erschließung des Kraftwerks für Besucher dar. Einige Teile der Maschinen sind mit Asbest kontaminiert. Man hat das Problem durch Glasvitrinen gelöst.
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Peenemünde als Wohnort existiert seit seiner Auflösung für den Bau der Heeresversuchsanstalt nur noch rudimentär. Jetzt gibt es weitreichende Pläne, den Bereich um den Hafen umzugestalten, ihn behutsam touristisch zu erschließen und das Hafenquartier als neue Ortsmitte zu schaffen.

Bei all diesen im großen Maßstab geplanten Vorhaben auf der Nordspitze Usedoms gilt: Angemessener Umgang mit der schwierigen Denkmalsubstanz ist oberstes Gebot.

2013 wurde dem Historisch-Technischen Museum der Europa Nostra Award, die höchste europäische Denkmal-Auszeichnung, für die behutsame Sanierung des Peenemünder Kraftwerks verliehen: Großartige Bestätigung und Belohnung für ein umfassend gedachtes Projekt, das nur im Team von Museumsführung, Geldgebern, Historikern und Restauratoren gelingen kann.

Beatrice Härig

Infos

Historisch-Technisches Museum, Im Kraftwerk, 17449 Peenemünde. Tel. 038371 505-0. www.peenemuende.de.

Öffnungszeiten: Okt. bis März 10-16 Uhr, April bis Sept. 10-18 Uhr. Montags von Nov. bis Mai geschlossen.

Die "Denkmal-Landschaft" ist ein öffentlicher Rundweg zu historisch interessanten Punkten von ca. 25 km Länge mit bislang 20 Stationen.

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