Menschen für Denkmale August 2015

Der historische Bahnhof Belvedere in Köln-Müngersdorf wurde zu einem Projekt der LVR-Anna-Freud-Schule

Eine Frage der Wahrnehmung

In Köln-Müngersdorf steht das älteste Bahnhofsgebäude Deutschlands. Jetzt wird das klassizistische Gebäude restauriert, um als Kultur- und Begegnungsstätte etabliert zu werden. Als Projekt von "denkmal aktiv", dem Schulprogramm der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, machte der Förderverein mit der LVR-Anna-Freud-Schule schon einmal den Anfang.

Der hohe, nicht sehr große Raum ist abgedunkelt. Durch die Spalten der Fensterläden dringt Sonnenlicht, Laub liegt wie hineingeweht in einer Ecke und eine Gitarrenmelodie schwingt zart durch den Raum. Das Auge gewöhnt sich allmählich an das diffuse Licht und nimmt Zuschauer wahr, die gebannt dem Geschehen folgen. Eine Tänzerin umspielt eine zweite, die sich virtuos mit ihrem Rollstuhl in einem magischen Zirkel bewegt. Die akustische Untermalung des Tanzes verändert sich, auf die friedliche Klangvielfalt von Flora und Fauna, auf Vogelzwitschern und Laubknistern folgt das Crescendo zum harten Maschinenrhythmus der Fabriken. Die Performance stellt den Wandel von der naturhaften zur technischen Umwelt dar. Einer Umwelt, die der Mensch erschaffen hat und in die er sich trotzdem einfinden muss.

Wie hier bei der Präsentation auf der Gartenseite des ehemaligen Bahnhofs Belvedere setzten sich die Schüler der LVR-Förderschule kreativ mit dem Thema Wahrnehmung und Mobilität auseinander. 
Köln, Bahnhof Belvedere © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Wie hier bei der Präsentation auf der Gartenseite des ehemaligen Bahnhofs Belvedere setzten sich die Schüler der LVR-Förderschule kreativ mit dem Thema Wahrnehmung und Mobilität auseinander.

Mit dem Rütteln der Fensterläden, dem metallischen Klopfen der Leitungsrohre, dem Schlagen der Holztüren wird der Raum, wird das Bauwerk Teil dieser Inszenierung. Ein sinnfälliger Bezug, handelt es sich doch um das 1839 erbaute Empfangsgebäude des einstigen Bahnhofs Belvedere am Rand von Köln-Müngersdorf. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit, die Vor- und Nachteile der wachsenden Mobilität des Menschen waren die Kernbegriffe, mit denen sich die Schülerinnen und Schüler der 11. und 12. Stufe der LVR-Anna-Freud-Förderschule in Köln-Müngersdorf seit dem letzten Jahr beschäftigt haben.

An diesem 3. Juni präsentieren sie ihre Ergebnisse in dem bedeutenden und doch fast vergessenen Denkmal der rheinischen Frühindustrialisierung und Verkehrsgeschichte. Dass das klassizistische Hauptgebäude des ehemaligen Bahnhofs Belvedere oberhalb der stark befahrenen Trasse Köln-Aachen als Ideengeber und Veranstaltungsstätte dient, ist dem Förderkreis Bahnhof Belvedere e. V. zu verdanken. Er trat an die Schulleitung heran und unterbreitete ihr den Vorschlag, sich mit dem Baudenkmal im Rahmen des Schulprogramms denkmal aktiv zu beschäftigen. Seit 2014 ist der Bahnhof Belvedere ein Förderprojekt der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, die seit 13 Jahren bundesweit auch das Schulprogramm "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule" durchführt.

Der klassizistische Bau von 1839 war das Empfangsgebäude des Bahnhofs Belvedere in Köln Müngersdorf. 
Köln, Bahnhof Belvedere © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Der klassizistische Bau von 1839 war das Empfangsgebäude des Bahnhofs Belvedere in Köln Müngersdorf.

Für die Schülerinnen und Schüler erwies sich der "Ausflugsbahnhof" als reizvolles Objekt. Denn Mobilität und Wahrnehmung sind für sie wichtige Themen. Seit mehr als 20 Jahren ist die Schule des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) für ihr besonderes Bildungsangebot bekannt: Ihr Schwerpunkt liegt auf der Förderung der körperlich-motorischen Entwicklung und bietet bundesweit als einzige öffentliche Einrichtung dieser Art eine Ausbildung, die zum Abitur führt.

"Wir praktizieren die umgekehrte Inklusion", erklärt Sebastian Muders, der stellvertretende Schulleiter. "Bei uns ist nur ein Viertel der Oberstufenschüler und -schülerinnen körperlich nicht beeinträchtigt." Das aufmerksame soziale Miteinander, die abwechslungsreiche Form, den Schulstoff zu erarbeiten, die kleinen Klassen sowie die Pädagogen und Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Sozialberufen machen die LVR-Förderschule so interessant.

Einen Eindruck, auf welche Weise man sich einem Denkmal der Verkehrsgeschichte annähern kann, gaben die vorgestellten Kunstwerke von Dioramen bis zur Fotografie, Gedichte, die Musik der Schulband und ein Vortrag zur militärischen Mobilität seit 1914. Der Schwerpunkt lag jedoch auf den Klang- und Tanzvorstellungen. Sie erhielten ihre besondere Note durch die Kölner Annelie & Uwe-Hoffmanns-Stiftung, die das Ensemble "Musikfabrik" mit ins Boot holte. Für die von den Schülern komponierten und aufgeführten Klang- und Bewegungsrhythmen boten der lauschige Park mit seinen mächtigen Platanen und die Räume des Bahnhofsgebäudes Belvedere die mehr als passende Bühne - unterstrichen vom Lärmen der vorbeirasenden Züge.

Die historischen Fenster der Beletage zum Garten sind bereits mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz aufgearbeitet und bieten einen der "Logenplätze" in dem klassizistischen Gebäude. 
Köln, Bahnhof Belvedere © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die historischen Fenster der Beletage zum Garten sind bereits mit Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz aufgearbeitet und bieten einen der "Logenplätze" in dem klassizistischen Gebäude.

Bahnhof Belvedere in Köln-Müngersdorf

Das "Belvedere" in Köln-Müngersdorf gilt als das älteste erhaltene Bahnhofsgebäude in Deutschland. Es wurde 1839 als Zielpunkt des ersten von vier Abschnitten der neuen Eisenbahnstrecke von Köln über Aachen zum Seehafen Antwerpen errichtet.

Das ambitionierte Großprojekt des "Eisernen Rheins" basierte auf handfesten wirtschaftlichen Interessen: die Umgehung der niederländischen Rheinzölle. Sowohl in dem seit 1831 bestehenden Belgien als auch in Köln wurde die Umsetzung des Vorhabens verfolgt. Im Juli 1835 gründeten rheinische Unternehmer, Bankiers und Politiker die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft, die als größtes Privatunternehmen in Preußen den Bau der weltweit ersten internationalen Eisenbahnstrecke vorantrieb. 1843 wurde der preußische Abschnitt bei Herbesthal mit dem belgischen Teil der Bahnstrecke verbunden.

Erst 1825 hatte in England die Personenbeförderung per Eisenbahn begonnen. Daher hatte sich noch kein "Bautyp Bahnhof" als Vorbild durchgesetzt. So entstand auf einer Anhöhe bei Müngersdorf ein Ensemble, das Bahnhof und Ausflugslokal in einem war. Der siebenachsige, zweigeschossige Putzbau zeigt sich in repräsentativer ländlicher Villenarchitektur. Weil er sich in seiner klassizistischen Formensprache auch in der Anlage des Gartens mit einer Pergola an Vorbilder von Karl Friedrich Schinkel orientiert, vermutet die Forschung einen seiner Schüler als Baumeister, nämlich den Kölner Baurat Matthäus Biercher.

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte 2014 die ersten Maßnahmen für die Restaurierung des Empfangsgebäudes. 
Köln, Bahnhof Belvedere © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte 2014 die ersten Maßnahmen für die Restaurierung des Empfangsgebäudes.

Vier teure Silbergroschen kostete die 6,7 Kilometer lange Fahrt in der "III. Wagenclasse" vom Kölner Trankgassentor am Rhein ins Grüne nach Müngersdorf. Vom Bahnsteig führte ein geschwungener Fußweg an einem Fahrkartenhäuschen vorbei die Anhöhe hinauf, wo der nächste aufregende Genuss wartete: Von der Pergola im Garten konnten die Gäste auf den unterhalb gelegenen Gleisen die von Dampflokomotiven geführten Personenzüge beobachten.

Daher liegt auch der Haupteingang zum Empfangsgebäude auf der Gartenseite. Optisch hervorgehoben durch einen halbrunden Mittelrisalit, der von einer damals noch offenen Holzloggia umfangen wird, lenkt im Vestibül eine doppelläufige Treppe die Aufmerksamkeit auf sich. Helle Durchgangszimmer machen das Obergeschoss zur Beletage. Sie gewährte einen Ausblick auf Köln, dessen Dom damals noch nicht die markanten Türme besaß. Obwohl von geringer Größe, zeigt sich das Bahnhofsgebäude in seiner Ausstattung eines herrschaftlichen Palais würdig. Nachdrücklicher konnte das Kölner Bürgertum sein Selbstbewusstsein kaum unterstreichen.

Mit der Verlängerung der Kölner Eisenbahnstrecke nach Aachen verlor der Bahnhof allmählich seine Attraktivität. Trotz der zahlreichen Nachnutzer des Areals ist an dem Gebäude viel originale Substanz erhalten. Seit 1892 ist die Stadt Köln die Eigentümerin des seit 2009 leerstehenden Denkmals. Der Förderkreis Bahnhof Belvedere e. V., den 2010 Müngersdorfer Bürger gründeten, hat Konzepte zur Restaurierung und Nutzung, wie etwa die Zusammenarbeit mit der LVR-Anna-Freud-Förderschule, entwickelt. Mit der Vergabe des Erbbaurechts durch die Stadt Köln kann er nun die Gesamtinstandstzung des Denkmals angehen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz stellte 2014 - auch mit Hilfe der Lotterie GlücksSpirale - 60.000 Euro für erste Restaurierungsmaßnahmen bereit, damit der Bahnhof Belvedere als öffentlicher Ort für Kultur, Bildung und Begegnung wieder zu einem beliebten Ausflugsziel vor den Toren Kölns wird.

Christiane Rossner


Das Schulprogramm der Deutschen Stiftung Denkmalschutz

Schüler erleben gebaute Geschichte und lernen so den Wert und die Bedeutung von Kulturdenkmalen kennen - das ist die Idee von "denkmal aktiv - Kulturerbe macht Schule", dem Schulprogramm der Deutschen Stiftung Denkmalschutz.

Mit "denkmal aktiv" möchte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zur kulturellen Bewusstseinsbildung von Jugendlichen beitragen und fördert gemeinsam mit ihren Partnern Schulprojekte, die den einzigartigen Wert von Denkmalen und den Kulturgüterschutz als gesellschaftliche Aufgabe für einen verantwortungsvollen Umgang mit den historischen Zeugnissen vermitteln.

Durch eigenes Entdecken und Forschen erfahren junge Menschen, dass Steine Geschichte(n) erzählen und historische Bauten einen wertvollen Bestandteil ihrer täglichen Lebenswelt bilden. Wie sah es in unserem Stadtviertel vor 100 Jahren oder noch früher aus? Wie wurde hier gelebt und gearbeitet? Welchen Einflüssen sind historische Gemäuer heute ausgesetzt und was können wir dazu beitragen, Denkmale zu schützen? Diesen und ähnlichen Fragen gehen die Schüler gemeinsam mit ihren Lehrern - und in Zusammenarbeit mit fachlichen Partnern - im Rahmen von "denkmal aktiv"-Projekten nach.

"denkmal aktiv" steht unter der Schirmherrschaft der Deutschen UNESCO-Kommission und wird von verschiedenen Ministerien der Bundesländer und von renommierten Kultureinrichtungen unterstützt.

Nähere Informationen zum Schulprogramm der Deutschen Stiftung Denkmalschutz finden Sie unter www.denkmal-aktiv.de


Belvederestr. 147, 50933 Köln-Müngersdorf. Eine Führung wird immer am letzten Samstag des Monats um 15.30 Uhr angeboten. Anmeldungen unter info@bahnhof-belvedere.de, www.bahnhof-belvedere.de

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützte 2014 die ersten Maßnahmen für die Restaurierung des Bahnhof-Empfangsgebäudes.

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