Dezember 2012 A

Die astronomische Uhr von St. Marien in Rostock

Wie sich die Stunde drehen lernte

Die astronomische Uhr in der Rostocker Marienkirche ist weltweit das einzige Exemplar, das noch mit dem originalen Uhrwerk aus dem 15. Jahrhundert funktioniert.

Sie hat alle Zeit der Welt. Die astronomische Uhr im Chorumgang von St. Marien zu Rostock zählt seit über einem halben Jahrtausend die Stunden, Tage und Jahre. Sie ist weltweit die einzige Uhr ihrer Art, die noch mit fast allen originalen Teilen funktioniert. Und diese verrichten ihren Dienst immerhin seit 1472.

Zu Beginn des 14. Jahrhunderts kamen die ersten Räderuhren mit mechanischer Hemmung auf, die Vorläufer unserer heutigen Uhren. Gegen Ende des Jahrhunderts verfügte bereits jede größere Stadt über eine große Uhr, die zudem mit einem Schlagwerk ausgestattet war. Schließlich besaß damals noch nicht jedermann einen handlichen Zeitmesser, und der weithin hörbare Stundenschlag war Teil des öffentlichen Lebens.

Am 1. Januar 2018 wird die neue Kalenderscheibe installiert. Dann feiert die Hansestadt ihr 800. Jubiläum. 
© ML Preiss
Am 1. Januar 2018 wird die neue Kalenderscheibe installiert. Dann feiert die Hansestadt ihr 800. Jubiläum.

Was uns heute selbstverständlich ist - gleichlange Stunden - war eine Neuerung, die erst um 1300 eingeführt wurde. Vorher hatten die Stunden unterschiedliche Längen, die sich nach der jeweiligen Dauer von Tag und Nacht richteten. Astronomische Uhren, die ebenfalls seit dem frühen 14. Jahrhundert belegt sind, konnten darüber hinaus das Datum, die Mondphasen und andere periodisch wiederkehrende Ereignisse und Daten anzeigen.

Das Prinzip der astronomischen Uhr besteht darin, die Drehbewegung des Sternenhimmels aus der Sicht der Erde nachzuvollziehen. An ihr kann man ablesen, was ein Tag eigentlich bedeutet: nämlich, dass sich die Erde einmal um ihre Achse dreht. Und daran änderte auch das heliozentrische Weltbild des Nikolaus Kopernikus (1473-1543) nichts.

Sonne, Mond und Tierkreis

Die astronomischen Uhren waren vor allem im Ostseeraum verbreitet. Auch in der Hansestadt Rostock, die im 14. und 15. Jahrhundert ihre Blütezeit erlebte, gab es bereits seit 1379 eine solche Uhr in der Hauptpfarrkirche St. Marien. 1472 wurde sie entweder um- oder neu gebaut. Mit einem Ablass von 40 Tagen warb Bischof Werner von Schwerin um Spenden für die Ausstattung der Uhr.

2009 unterstützte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz auch die Restaurierung der astronomischen Uhr. 
© ML Preiss
2009 unterstützte die Deutsche Stiftung Denkmalschutz auch die Restaurierung der astronomischen Uhr.

1419 war die Rostocker Universität gegründet worden, die immer in enger Verbindung mit St. Marien stand. Die Astronomie, eine der sieben "Freien Künste", war also in der Hansestadt zu Hause und konnte die wissenschaftlichen Grundlagen für das handwerkliche Kunststück liefern. In den Jahren 1641 bis 1643 wurde die Uhr umfassend instandgesetzt und erweitert. Dabei erhielt sie auch das prunkvolle Gehäuse in den Formen der Spätrenaissance.

Die astronomische Uhr von Rostock besteht aus zwei Teilen: Der obere ist der Zeitmessung gewidmet, der untere hat kalendarische Funktion. Das Zeitzifferblatt ist stattliche 16 Quadratmeter groß. Hier lassen sich die Stunden, der Stand von Sonne und Mond im Tierkreis sowie die jeweilige Mondphase ablesen.

Der äußere Stundenring wurde mit römischen Ziffern in spätgotischen Minuskeln versehen. Die Rostocker Uhr verfügt nur über einen Stundenzeiger - Minutenzeiger sind erst seit dem 17. Jahrhundert geläufig. An beiden Enden des Zeigers sind jeweils zwei schwerkraftbetriebene Scheiben befestigt. Bei der einen handelt es sich um eine kleine "Uhr auf der Uhr", die andere ist eine astrologische Planetenuhr.

Das Zentrum nimmt die Sonnenscheibe ein, die sich einmal im Jahr gegen den Uhrzeigersinn dreht. Ihre kreisrunde Öffnung gibt den Blick frei auf die darunter liegende Mondphasenscheibe: So lugt bei Vollmond ein strahlendes Gesicht hervor, bei Neumond ein dunkles. An den Rändern der beiden Scheiben ist jeweils ein kleiner Zeiger befestigt: Mond und Sonne weisen auf den Stand der beiden Gestirne im Tierkreis hin. Dessen Zeichen, die aus dem antiken in den christlichen Bildkanon übergegangen waren, werden gegen den Uhrzeigersinn gelesen.

Im Dezember werden Schweine geschlachtet: Monatsbild auf dem Ziffernblatt. 
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Im Dezember werden Schweine geschlachtet: Monatsbild auf dem Ziffernblatt.

Dazwischen liegt der Ring der Monatsbilder. Die spätantiken Allegorien wurden im Mittelalter zu Bildern des bäuerlichen Lebens entwickelt, die für den jeweiligen Monat typisch sind: So wird im Mai gesät, im August Korn gedroschen, und im November Holz gehackt.

Im Sockelgeschoss der Rostocker Uhr ist, wie bei den meisten astronomischen Uhren des Ostseeraums, zurückversetzt das Kalendarium angebracht. Die große Kalenderscheibe vollführt im Lauf eines Jahres eine Umdrehung. In ihrem Zentrum ist die barocke Tag-Nacht-Scheibe installiert: Sie gibt die jeweilige Stundenzahl der Tageszeiten an.

Die Kalenderscheibe, die von einem weiteren Tierkreisring eingefasst wird, zeigt auf 15 Ringen die verschiedensten Daten an: den Zeitpunkt des Sonnenaufgangs, das aktuelle Sternzeichen, Namenstage oder den jährlichen Termin für das Osterfest, nachdem sich alle anderen beweglichen Feiertage richten. Sie gelten natürlich nur für einen begrenzten Zeitraum, danach muss die Scheibe neu beschriftet werden. Das aktuelle Kalendarium reicht noch bis ins Jahr 2017.

Das Innere der astronomischen Uhr von St. Marien ist eine Welt für sich: Allein das Hauptwerk, das den großen Stundenzeiger und die zentrale Sonnenscheibe in Bewegung setzt, besteht aus neun Zahnrädern. Ihre fünf Uhrwerke müssen immer noch täglich per Hand aufgezogen werden.

Der „Kalendermann“ zeigt das Datum auf der Kalenderscheibe an. Er wurde wohl erst beim Umbau der Uhr im 17. Jahrhundert mit dieser Aufgabe betraut. 
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Der „Kalendermann“ zeigt das Datum auf der Kalenderscheibe an. Er wurde wohl erst beim Umbau der Uhr im 17. Jahrhundert mit dieser Aufgabe betraut.

Mit dem großen Umbau im Dreißigjährigen Krieg, der ihr den prächtigen Aufsatz bescherte, kam noch mehr Leben in die Uhr. Zu jeder vollen Stunde erklingt das Glockenspiel; zur Mittagsstunde und um Mitternacht wird der barocke Figurenumlauf in Bewegung gesetzt. Zwei Türen öffnen sich, und sechs Apostel ziehen an Christus vorbei, der die Hand zum Segen hebt. Nur der letzten Figur wird er verweigert - Judas muss die nächsten zwölf Stunden vor verschlossener Tür stehen bleiben.

Die astronomische Uhr von St. Marien war keineswegs nur zur Zeitbestimmung errichtet worden. Sie sollte vor allem das gottgegebene Gefüge des Universums versinnbildlichen.
Ihre Räder dürfen sich auch nach 2017 getrost weiterdrehen. Das neue Kalenderblatt, das von 2018 an weitere 133 Jahre Gültigkeit haben wird, ist bereits berechnet. Einmal nach alter, überlieferter Methode - und ein zweites Mal mit einer modernen Methode, für die Rostocker Gymnasiasten schon vor Jahren die Formeln entwickelt haben: per Computer. Alles zu seiner Zeit.

Bettina Vaupel

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