Kurioses Ikonographie August 2012

Beichtstühle in protestantischen Kirchen

Kühlung für das brennende Herz

Die Herzen der Beichtkinder wogen schwer, waren sie doch von der Reue für sündige Taten belastet. Beim Eintreten in so manchen Beichtstuhl fiel ihr Blick auf die sie ermutigenden biblischen Vorbilder an der Tür. Zum Beispiel auf den heimgekehrten verlorenen Sohn, der seine Fehltritte bekannte und dabei auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes vertraute.

Einige Gehäuse erhielten auch im Inneren prächtige Malereien, wie der nach 1670 geschaffene protestantische Beichtstuhl in Reichenbach (Oberlausitz). Als Teil einer eindrucksvollen Ausstattung steht er hinter dem Hochaltar der Johanniskirche. Die Gläubigen nahmen darin neben dem Pfarrer Platz und erblickten ein Sinnbild ihres gefühlsmäßigen Zustands: ein brennendes Herz, auf das aus einem Krug Wasser geschüttet und dem von einem Gesicht kühle Luft zugepustet wird. Den Emblemata entlehnt, steht das Motiv für das vor irdischem Begehren glühende Herz, das durch Gottes Geist erfrischt und gekühlt wird. Das Bild drückt wohl auch die Erneuerung des Herzens aus, die der Beichtende durch seine Hinwendung zu Gott erlebt.

Der Beichtstuhl der Dorfkirche im sächsischen Wurzen-Burkartshain konnte zusammen mit anderen Ausstattungsstücken dank der Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), ihrer treuhänderischen Joachim-Albrecht-und-Beatrix v. Holleuffer-Stiftung sowie der Rudolf-August Oetker-Stiftung restauriert werden. 
© R. Rossner
Der Beichtstuhl der Dorfkirche im sächsischen Wurzen-Burkartshain konnte zusammen mit anderen Ausstattungsstücken dank der Hilfe der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), ihrer treuhänderischen Joachim-Albrecht-und-Beatrix v. Holleuffer-Stiftung sowie der Rudolf-August Oetker-Stiftung restauriert werden.

Beichtstühle sorgen in einem evangelischen Gotteshaus für Verwunderung. Die Beichte gehört aber nicht nur zur katholischen Kirche. Spätestens seit dem 4. Laterankonzil 1215 waren die Christen dazu verpflichtet, alle ihre Sünden wenigstens einmal im Jahr - am besten während der Fastenzeit - einem Geistlichen zu offenbaren und die durch ihn auferlegte Buße zu tun. Dem mündlich abgelegten Bekenntnis folgte die Absolution durch den Priester. Er sprach seine Schäflein von der Sündenschuld frei. Von der Sündenstrafe waren sie damit noch nicht entbunden. Sie konnte nur durch Leistungen wie Gebete, Fasten und Wallfahrten abgegolten werden.

Eindrucksvoll sind die Malereien im Beichtstuhl der Johanneskirche von Reichenbach (Oberlausitz). 
© ML Preiss
Eindrucksvoll sind die Malereien im Beichtstuhl der Johanneskirche von Reichenbach (Oberlausitz).

Weil es immer gebräuchlicher wurde, diese durch andere Personen übernehmen zu lassen oder gar durch Geldzahlungen auszugleichen, kritisierte Martin Luther die spätmittelalterliche Beichtpraxis. Der Beichte, die mit verschiedensten Bußleistungen und der Angst vor Hölle und Fegefeuer verbunden war, erteilte der Reformator eine Absage. Für ihn bestand sie allein aus Sündenbekenntnis und Sündenvergebung. Sie sei, so heißt es im Großen Katechismus, "ein Werk, das Gott tut, der mich durch das Wort, dem Menschen in den Mund gelegt, losspricht von meinen Sünden, welches auch das Wichtigste und Edelste ist, was die Beichte lieblich und tröstlich macht". Er betrachtete das Aufzählen jeder einzelnen Sünde nicht als notwendig für die Vergebung. Nach seiner Auffassung ist sie eine heitere Angelegenheit, wie er es im Großen Katechismus niederlegte: "Wer nun sein Elend und Not fühlet, wird wohl solch Verlangen danach kriegen, dass er mit Freuden hinzu laufe." Luther, der zeitlebens gerne und oft beichtete, zählte sie zunächst noch zu den Sakramenten. Später sprach er der Beichte diesen Rang ab, weil ihr ein von Gott eingesetztes Zeichen fehlte, wie es bei der Taufe im Wasser und beim Abendmahl in Brot und Wein gegeben ist.

Zunächst gab es kein spezielles Mobiliar, auf dem die Sündenbekenntnisse ausgesprochen wurden, und auch der Ort, an dem diese Handlung stattfand, war nicht eindeutig geregelt. Wie in der katholischen Kirche galt lediglich die Vorschrift, dass sie - aus moralischen Gründen - an einer von anderen Personen einsehbaren Stelle geschehen solle, weshalb Beichtstühle meist hinter dem Hoch- oder Seitenaltar, an der Chorschranke im Schiff oder in ausgewiesenen Beichtkapellen platziert wurden.

In Annenkirche von Annaberg-Buchholz befindet sich der Beichtstuhl hinter dem Hauptaltar. 
© ML Preis
In Annenkirche von Annaberg-Buchholz befindet sich der Beichtstuhl hinter dem Hauptaltar.

Das Rituale Romanum, eine Liturgieanleitung von 1614, bestimmte die Gestalt des Beichtstuhls in der katholischen Kirche. Es schreibt vor, dass der Geistliche und der Beichtende durch ein Brett oder Gitter voneinander getrennt sind. Eine solche Raumteilung kannte die evangelische Kirche nicht. Auch deshalb entwickelte sich eine große Formenvielfalt bei den Beichtstühlen. Nutzte man zunächst noch das Chorgestühl aus vorreformatorischer Zeit, teilweise durch Wände abgeteilt, bildete sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts der eigentliche Beichtstuhl heraus. Erst waren es gepolsterte Einzelsitze für die Geistlichen mit einer gepolsterten Kniebank für die Beichtenden. Ein außergewöhnliches Exemplar entstand um 1690 für die Annenkirche in Annaberg-Buchholz. Thronartig aufgebaut, mit einem Baldachin, den acht gewundene Säulen tragen, besitzt der Beichtstuhl einen Sessel mit Fußpodest für den Priester und zwei gepolsterte Kniebänke mit Armauflagen für die Beichtenden. Dann gab es zwei- oder mehrsitzige Beichtgehäuse mit einer Brüstung, sowie Modelle, die durch Rückwand, Türen und Überdachung geschlossen waren und verschiebbare Gitter oder Glasfenster besaßen. Während der Absolution konnte der Gläubige innen sitzen, knien oder vor dem Beichtstuhl stehen. Gefördert wurde ihre Entstehung nach dem Dreißigjährigen Krieg wohl auch durch das wachsende Selbstbewusstsein der Patronatsherren und des gehobenen Bürgertums, die ihre Beichte nur ungern kniend und in aller Öffentlichkeit ablegten. Die im 18. Jahrhundert geschaffenen protestantischen Beichtstühle auf Rügen besitzen diese geschlossene Form. Auf der Ostseeinsel findet man, genauso wie auf der holsteinischen Halbinsel Eiderstedt, in fast jedem Dorf ein Beichtgehäuse aus dieser Zeit.

Die Görlitzer Peterskirche besitzt drei hölzerne Beichtstühle. Ihre Farbfassung lässt sie wie marmorne Gehäuse wirken. 
© ML Preiss
Die Görlitzer Peterskirche besitzt drei hölzerne Beichtstühle. Ihre Farbfassung lässt sie wie marmorne Gehäuse wirken.

Gebeichtet wurde in der Regel am Vorabend des sonntäglichen Abendmahls. In den Großstadtkirchen - wo es bis zu 180 Abendmahlsfeiern im Jahr geben konnte - nahm die Menge der Beichtwilligen oft über den gesamten Tag nicht ab, und man musste Anleitungen verlesen, um die Wartenden zu disziplinieren. Vielerorts herrschte keine andachtsvolle Stille, weshalb Bußlieder und Gebete angestimmt wurden, um die Wartenden zu beschäftigen. 1671 fielen im sächsischen Mittweida die Handwerksburschen durch lautes "Plaudern und Drängeln" auf. Aus Schönfels, ebenfalls Sachsen, hat sich die Predigt eines Pfarrers aus dem 18. Jahrhundert erhalten, die erklärt, dass "nur eine Person in den Beichtstuhl kommt, da indessen, die anderen in ihren Stühlen sitzen bleiben [sonst] ist es Unordnung - und nicht recht". Auch die äußerliche Erscheinung der Beichtgemeinde sollte der Würde des Anlasses entsprechen. Eine Katechismuspredigt ermahnt: "Man sol nicht in leichtfertiger üppiger unnd Lotterbübischen Kleidung daher kommen." In großen Städten war es nicht unüblich, dass die Pfarrer von morgens bis tief in die Nacht Beichte saßen, während Gemeindemitglieder oft über Stunden warten mussten. Außerdem sollen Geistliche vor Erschöpfung im Beichtstuhl eingeschlafen sein, die Beichtkinder mit wenigen Worten abgefertigt haben, und manche erst gar nicht zu den angesetzten Terminen erschienen sein.

Landesfürsten und Reichsstädten war an der Festigung der Religion gelegen. Sie nahmen die Einzelbeichte in die Kirchenordnungen auf. In der Regel begann diese mit dem Glaubensverhör, das Grundkenntnisse - zum Beispiel aus dem Kleinen Katechismus - abfragte. Die sich anschließende Beichte konnte man in eigenen Worten sprechen. Weitaus üblicher war es aber, sie in Formeln aufzusagen, die dem Kleinen Katechismus entnommen waren. Der Pfarrer spendete anschließend die Absolution, wobei er auf die Formel der Heinrichsagende, einer Kirchenordnung von 1539, oder auf die sogenannten "Formulnbücher" zurückgreifen konnte. Zuletzt entrichtete der Christ den Beichtpfennig, der in Behältnisse in oder an den Beichtstühlen geworfen wurde.

Für die Dorfkirche in Vilmnitz auf Rügen schuf Hans Broder 1722 den Beichtstuhl mit Kanzel. Das Gotteshaus, dessen Instandsetzung die DSD unterstützt hat, birgt die Gruft der Herren zu Putbus. 
© R. Rossner
Für die Dorfkirche in Vilmnitz auf Rügen schuf Hans Broder 1722 den Beichtstuhl mit Kanzel. Das Gotteshaus, dessen Instandsetzung die DSD unterstützt hat, birgt die Gruft der Herren zu Putbus.

Die der Absolution vorangestellte Glaubensüber¬prüfung etablierte sich zum zentralen Aspekt der Beichthandlung. Wer die Befragung nicht bestand, durfte abgewiesen werden, bis er den Katechismus gelernt hatte. So forderte auch der Reformator Veit Dietrich (1506-1549: "Solche stück soll ein jeder christ fein auswendig von wort zu wort können und einen ziemlichen Verstand davon haben oder soll zum sacrament nit zugelassen werden." Wollte Luther den Gläubigen noch das Gefühl zur Beichtpflicht aus Angst vor dem Fegefeuer nehmen, hatte sich dieses durch die Hintertür wieder eingeschlichen, war doch die Teilnahme am Abendmahl an die Absolution gebunden.

Das Auge Gottes wacht über dem Beichtstuhl der Sankt Pankratius-Kirche in Tragnitz. 
© ML Preiss
Das Auge Gottes wacht über dem Beichtstuhl der Sankt Pankratius-Kirche in Tragnitz.

Der religiösen Erneuerungsbewegung des Pietismus nahestehende Pfarrer kritisierten, dass das Sündenbekenntnis in Formeln verpackt werden konnte und jeder, eventuell auch ein Unbußfertiger, bedingungslos freigesprochen wurde. Sie weigerten sich, eine unbedingte Absolution zu erteilen, wenn die Beichte als Vorbedingung zum Abendmahl vielleicht nur aus empfundenem Zwang erfolgte. Exemplarisch für ihre Kritik an der gängigen Beichtpraxis ist der Berliner Beichtstuhlstreit, in dessen Mittelpunkt der an der Nikolaikirche tätige Pastor Johann Caspar Schade (1666-98) stand. Er beschrieb sie als oberflächlich und höchst unbefriedigend. Als Konsequenz seiner Haltung führte er für sich als Seelsorger eine allgemeine Beichte mit der Möglichkeit einer anschließenden freiwilligen Privatbeichte ein. Die Pietisten protestierten auch in Halle, wo August Hermann Francke (1663-1727) eine Rettung der Beichte nur durch eine Verschärfung der Beichtzucht gewährleistet sah und sich fähige Beichtväter wünschte. In der Folge hob der brandenburgische Kurfürst den Zwang zur Privatbeichte auf und erteilte jedem Gemeindemitglied und jedem Priester die Freiheit, in Bezug auf die Beichte als Abendmahlsvorbereitung nach seinem Gewissen zu handeln. Im Laufe des 18. Jahrhunderts etablierte sich die allgemeine Beichte. In die Liturgie des Gottesdienstes eingebunden, sprach eine Person die Beichtformel für alle Gläubigen. Mit dem Aufkommen der allgemeinen Beichte wurden die Beichtstühle jedoch nicht abgeschafft, denn die Einzelbeichte blieb regional erhalten. Sie war aber nun die Ausnahme von der Regel.

Noch heute gibt es in der evangelischen Kirche das private Beichtgespräch. Es findet außerhalb der historischen Beichtstühle und jenseits des Glaubensverhörs statt. Martin Luther, der großen Wert auf die Beichte als seelentröstende Handlung legte, wäre erfreut. Betonte er doch: "Ich wäre längst vom Teufel erwürgt, wenn mich nicht die Beichte erhalten hätte."

Julia Ricker

Verwendete Literatur: Alexander Wieckowski: Evangelische Beichtstühle in Sachsen. Sax-Verlag, Beucha 2005. ISBN: 978-3-934544-74-1, 152 S., 22 Euro.

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