Städte und Ensembles Oktober 2010

Weshalb Schleswig-Holsteins Friedrichstadt auch "Klein-Amsterdam" heißt

Die Stadt der Toleranz

Hätte der Große Kurfürst ein Vorbild gesucht, als er mit seinem Edikt von Potsdam 1685 den Zuzug der Hugenotten nach Brandenburg ermöglichte, er hätte es im Norden gefunden. Denn hier hatte Friedrich III., Herzog von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597-1659), bereits 1621 remonstrantische Glaubensflüchtlinge aus Holland eingeladen, sich in seinem Herzogtum niederzulassen. Er gründete auf einer Insel zwischen den Flüssen Treene und Eider die Stadt Friedrichstadt, die die Holländer dann ganz im Stile ihres Heimatlandes errichteten.

Partie am Mittelburggraben mit der Großen Brücke. Mit seinen Giebelhäusern am Markt erinnert Friedrichstadt an so manche Kleinstadt in den Niederlanden.  
Friedrichstadt, Mittelburggraben © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Partie am Mittelburggraben mit der Großen Brücke. Mit seinen Giebelhäusern am Markt erinnert Friedrichstadt an so manche Kleinstadt in den Niederlanden.

Der Grundstein für das erste Haus an der Ecke Fürstenburgwall/Binnenhafen wurde am 24. September 1621 gelegt. Eine Gedenktafel mit der Aufschrift "Haltet stand in der Freiheit" (nach der Epistel des Paulus an die Galater, Kap. 5, 1) erinnert daran.


Im Zusammenhang mit dem Freiheitskampf gegen die spanische Herrschaft hatten sich in den Niederlanden die Calvinisten als Gegenpol zum Katholizismus mehrheitlich durchgesetzt. Doch insbesondere deren Prädestinationslehre - nach der jedermann von Geburt an zur Seligkeit oder zur Verdammnis verurteilt ist - wurde vom Theologen Jacobus Arminius (1560-1609) und seinen Anhängern bekämpft. Die 1610 von ihnen veröffentlichte "Remonstrantie" - eine erklärende Darlegung ihrer Glaubensgrundsätze - gab später der Gemeinschaft ihren Namen. Der Streit mit den Calvinisten eskalierte. 1619 wurden die Remonstranten in den Niederlanden verboten. Sie flohen zunächst ins katholische Antwerpen, wo sie die Remonstrantische Bruderschaft gründeten.

Mit seiner Stadtgründung hatte Friedrich III. Großes vor: Durch die Beteiligung am lukrativen Handel mit Spanien wollte er Geld für seine kostspielige Hofhaltung in seine Kassen spülen. Der holländische Kaufmann Willem van den Hove beriet den Herzog bei diesem Vorhaben. Er machte ihn, obwohl selbst nicht Remonstrant, auf die als fleißig und geschäftstüchtig geltenden Mitglieder dieser Glaubensrichtung aufmerksam. Es gelang Friedrich III., einige niederländische Familien in sein Herzogtum zu holen. Sie erbauten für ihn eine Stadt, die bald so groß war wie andere an der Westküste Schleswig-Holsteins oder diese sogar noch übertraf.

Die Kirche der Remonstranten an der Prinzeßstraße. Ihre Restaurierung wurde ab 2005 von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und anderen Geldgebern, darunter die Hermann Reemtsma Stiftung, gefördert.  
Friedrichstadt, Kirche der Remonstranten © C. Thomsen
Die Kirche der Remonstranten an der Prinzeßstraße. Ihre Restaurierung wurde ab 2005 von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und anderen Geldgebern, darunter die Hermann Reemtsma Stiftung, gefördert.

Und Friedrichstadt wurde auch auf ganz andere Weise attraktiv: Die Remonstranten verlangten nämlich von Friedrich, dass alle Konfessionen in der Stadt die gleichen Rechte bekommen sollten. Daher siedelten sich hier bald auch Mennoniten - eine im 16. Jahrhundert aus der Täuferbewegung entstandene Glaubensrichtung -, Lutheraner und Katholiken an. Die erste Kirche der Remonstranten entstand 1624, Gotteshäuser der anderen Gemeinden folgten. Um 1700 fanden Quäker, im 19. und 20. Jahrhundert Zeugen Jehovas und Mormonen eine Heimstatt. Auch Juden hatten hier - allerdings erst seit der Regentschaft von Friedrichs Sohn Herzog Christian Albrecht - über Jahrhunderte vergleichsweise viele Rechte. Man wohnte Haus an Haus und pflegte gesellschaftlichen Umgang mit den Christen. Mitte des 19. Jahrhunderts reichte der Platz in der alten Synagoge nicht mehr aus, weil die jüdische Gemeinde immerhin mehr als 400 Mitglieder zählte. Deshalb errichtete man ein neues Gotteshaus. An dessen feierlicher Einweihung am 28. Dezember 1847 nahmen Mitglieder aller Glaubensrichtungen teil. Auch später noch half man sich über Konfessionsgrenzen hinweg: So konnte zum Beispiel 1929 im Haus der Remonstranten ein jüdisches Ritualbad, eine Mikwe, eingerichtet werden.

Viele Juden verließen allerdings die Stadt, als sie sich im Deutschen Reich frei niederlassen konnten und sie anderswo bessere wirtschaftliche Bedingungen vorfanden, so dass zur Zeit des Nationalsozialismus nur noch wenige Familien hier lebten. Dennoch wurden ihre Geschäfte zerstört. Sie wurden verschleppt, und nur ein paar von ihnen überlebten im Ausland.

©  ML Preiss
© ML Preiss
Eines der schönsten Häuser Friedrichstadts: das Paludanushaus in der Prinzenstraße, erbaut 1637
©  ML Preiss
© ML Preiss
Das Doppelgiebelhaus ist eines der markantesten Häuser in der Prinzenstraße.
©  ML Preiss
© ML Preiss
Das Medaillon an der Kanzel der Remonstrantenkirche zeigt eine Allegorie der Freiheit und christlichen Humanität.
©  ML Preiss
© ML Preiss
Die Synagoge, deren Sanierung 2000/01 auch von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt wurde, dient heute als Kultur- und Gedenkstätte.
©  ML Preiss
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Friedhof und Betsaal der Mennonitengemeinde in Friedrichstadt
 
 
© ML Preiss
Eines der schönsten Häuser Friedrichstadts: das Paludanushaus in der Prinzenstraße, erbaut 1637
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Das Doppelgiebelhaus ist eines der markantesten Häuser in der Prinzenstraße.
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Das Medaillon an der Kanzel der Remonstrantenkirche zeigt eine Allegorie der Freiheit und christlichen Humanität.
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Die Synagoge, deren Sanierung 2000/01 auch von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt wurde, dient heute als Kultur- und Gedenkstätte.
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Friedhof und Betsaal der Mennonitengemeinde in Friedrichstadt
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Am 10. November 1938 legte man auch in der Friedrichstädter Synagoge Feuer, das allerdings wegen der Gefahr für die Nachbargebäude schnell wieder gelöscht wurde. 1941 erwarb sie ein Friedrichstädter Bauunternehmer, der dort eine Decke einziehen ließ und Wohnungen einrichtete. Erst vor einigen Jahren rekonstruierte man die alte Raumaufteilung der Synagoge ebenso wie die Fenster der Eingangsfront und nutzt das Haus heute als Kultur- und Gedenkstätte. Auf der ehemaligen Frauenempore zeigt nun eine Ausstellung die Geschichte der Friedrichstädter Juden, und in einem kleinen Archiv können Angehörige Akten, die ihre Familien betreffen, einsehen.

So kann man heute leider nur noch an die vielen Jahrhunderte jüdischen Lebens in Friedrichstadt erinnern. Aber in der kleinen Stadt mit nur etwa 2.600 Einwohnern leben weiterhin Angehörige von fünf christlichen Gemeinschaften friedlich miteinander: Lutheraner, Remonstranten, Mennoniten, Katholiken und dänische Lutheraner.

Die aus der Gründungszeit der Stadt stammende „Alte Münze“ am Mittelburggraben beherbergt heute das Historische Museum der Stadt.  
Friedrichstadt, "Alte Münze" © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die aus der Gründungszeit der Stadt stammende „Alte Münze“ am Mittelburggraben beherbergt heute das Historische Museum der Stadt.

Letztere nutzen den Betsaal der Mennoniten, der sich im Anbau eines der ältesten und prachtvollsten Häuser der Stadt befindet. Der Name des Gebäudes - "Alte Münze" - erinnert an die großen Hoffnungen der Siedler, allen voran des Remonstranten Adolph van Wael, der sich das Haus am Mittelburgwall 1626 errichten ließ. Friedrich III. ernannte den Adeligen und ehemaligen Bürgermeister von Utrecht zu seinem Statthalter in Friedrichstadt. Doch das vom Herzog versprochene Münzrecht kam nicht zustande, deshalb ist auch keine einzige Münze in diesem Haus geprägt worden. Später erwarben es die Mennoniten, heute beherbergt es das Historische Museum. Hier lässt sich die spannende Stadtgeschichte sehr anschaulich nachvollziehen.

Der Marktplatz inmitten der Stadt verdankt seine gewaltige Größe wohl ebenfalls dem Plan, den Ort zu einer bedeutenden Handelsstadt zu machen. Sie erwarb vor allem durch ihre Lage an der Eider, die bis zum Bau des Nord-Ostsee-Kanals 1895 eine vielbefahrene Schifffahrtsverbindung war, einen bescheidenen Reichtum, der nicht nur an den stattlichen Giebelhäusern am Markt, sondern auch an einigen Gebäuden der südlich davon gelegenen Straßen zu erkennen ist. Zusätzlich zu den beiden bereits im 16. Jahrhundert angelegten künstlichen Verbindungen - sogenannten Sielzügen - zwischen der Eider und dem nördlichen Nebenfluss Treene legte man bei der Stadtgründung drei weitere Kanäle an. Zwei von ihnen - der Mittelburggraben und der Fürstenburggraben - tragen noch heute zum idyllischen Bild der "Holländerstadt" bei.

Ganz schlicht und ohne Altar: der Kirchenraum der Remonstranten  
Friedrichstadt, Kirche der Remonstranten © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Ganz schlicht und ohne Altar: der Kirchenraum der Remonstranten

Doch im Jahre 1850 wurden große Teile Friedrichstadts zerstört: Während des Krieges zwischen Dänemark und Schleswig-Holstein hatten dänische Truppen die Stadt besetzt. Um sie zurückzuerobern, wurde sie von den Schleswig-Holsteinern sechs Tage lang beschossen. Viele Menschen starben. Zahlreiche Häuser - vor allem im südlich des Marktes gelegenen Teil - gingen in Flammen auf. In den Folgejahren wurde wieder aufgebaut, doch sind Narben geblieben.

Vollkommen zerstört hatten die Flammen auch das Gotteshaus der Remonstranten. Aber bereits am 3. Mai 1854 konnte die neue Kirche eingeweiht werden. Nach den Vorstellungen des Pastors Johannes Aletta Marinus Mensinga (1809-98) wurde sie ganz im klassizistischen Stil erbaut und sollte "klar, hell, schlicht, offen und frei sein" - ein bis heute überzeugendes Konzept.

In Friedrichstadt lebt man heute hauptsächlich vom Tourismus. Deshalb ist man sehr bemüht, das noch immer holländisch anmutende Erscheinungsbild der Stadt so gut wie möglich zu erhalten. Ein besonders gelungenes Beispiel ist das kleine, rot angestrichene Haus Prinzeßstraße 26, gleich gegenüber der Remonstrantenkirche. Es stammt noch weitgehend aus der Gründungszeit der Stadt. Jahrhundertelang haben hier Handwerker gewohnt, gearbeitet und ihre Waren feilgeboten. 1976 hat das niederländische Ehepaar Laman Trip das Häuschen als Zweitwohnsitz erworben und es bis 1981 ganz im historischen Stil und mit möglichst authentischen Materialien liebevoll restauriert. Große Schwierigkeiten gab es vor allem mit der Trockenlegung der Mauern und des bis zur halben Höhe in der Erde gelegenen Kellers, über dem sich die für die Bauweise typische "Opkamer" befindet. Denn als 1975 die Kanalisation erneuert wurde, hatte sich der Grundwasserspiegel in der Stadt stark erhöht. Die alte Entwässerungsmethode - das sogenannte Reolsystem - diente nämlich nicht nur zur Abführung von Schmutz- und Regenwasser, sondern hatte gleichzeitig eine Drainagefunktion, die jetzt nicht mehr gegeben ist.

Das Laman Trip-Haus mit seinen liebevollen Details ist ein typisches Gebäude aus den Anfängen Friedrichstadts.  
Friedrichstadt, Laman-Trip-Haus © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das Laman Trip-Haus mit seinen liebevollen Details ist ein typisches Gebäude aus den Anfängen Friedrichstadts.

Elske Laman Trip-Kleinstarink war jahrzehntelang Pastorin der Friedrichstädter Remonstranten. Die Ehrenbürgerin der Stadt reist noch regelmäßig hierher. Und da das Ehepaar Laman Trip keine Nachkommen hat, haben die beiden ihr Häuschen 1998 in eine Stiftung gegeben, die von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz treuhänderisch verwaltet wird.

Seit 1981 hat das kleine Haus der Laman Trips auch eine Hausmarke - wie so viele andere in Friedrichstadt. Sie zeigt drei stilisierte Holzschuhe mit Lederband, das Wappen der Familie Trip, einer Handelsfamilie aus dem Amsterdam des 17. Jahrhunderts. Eine besondere Attraktion - auch für Kinder - ist der Schauraum direkt neben der Haustür: Hier kann man eine Puppengruppe bewundern, die neben einer Familie in historischen Trachten auch Mitglieder der anderen Friedrichstädter Religionsgemeinschaften zeigt - ganz wie wir sie auf Gemälden holländischer Meister finden.

Dorothee Reimann

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1 Kommentare

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    Gela Böhne schrieb am 21.03.2016 14:03 Uhr

    Kürzlich war ich am Ende meiner Radtour auf dem Eider-Treene-Sorge-Radweg einige Stunden in Friedrichstadt und habe den Marktplatz, die Remonstrantenkirche und den gemeinsamen Gemeindebrief von 5 verschiedenen Konfessionen gesehen. Ich bin sehr positiv beeindruckt. Jetzt habe ich hier auf dieser Seite gesehen, dass es noch viel mehr zu sehen gibt. Ich hoffe, dass es mir vergönnt ist, wieder zu kommen. Auch dem o. a.Radwanderweg würde ich mehr Radler wünschen-ich bin keinem einzigen begegnet, aber sehr freundlichen Einheimischen.

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