Schlösser und Burgen Herrscher, Künstler, Architekten April 2009

Bettina von Arnim und Schloss Wiepersdorf

"...mein Glück ist meine Heimat"

Die Stufen der Terrasse hinunter schlenderten sie an Pomona, Eternita, Aphrodite und Leda vorbei geradewegs auf die Figur des Zeus zu. Über Generationen hinweg wurden die Steinskulpturen im Park des Wiepersdorfer Schlosses stumme Zeugen von Gesprächen zwischen Dichtern, Malern und Komponisten.

Die perfekte Idylle eine Autostunde von Berlin entfernt: Schloss Wiepersdorf in der Gartenansicht 
© ML Preiss
Die perfekte Idylle eine Autostunde von Berlin entfernt: Schloss Wiepersdorf in der Gartenansicht

Sie alle genossen die Naturnähe, die Abgeschiedenheit der märkischen Provinz und den feinen Kunstsinn, den das Gut verströmt: Schriftsteller wie Anna Seghers, Christa Wolf, Ulrich Plenzdorf und Sarah Kirsch, später nach der Wende die Goethe-Expertin Sigrid Damm und die Literaten Marcel Beyer und Jürgen Becker. Das Familienschloss der von Arnims diente zu DDR-Zeiten als Arbeitsstätte für Geistesschaffende und ab 1992 als Künstlerhaus für Stipendiaten, ehe es Ende 2004 geschlossen werden musste.


Für viele Künstler bedeutete der Aufenthalt eine Reise in die Vergangenheit. In Gedichten, Romanen oder Kunst-Installationen erinnerten sie sich an das Dichterpaar, das hier gelebt hatte: Achim von Arnim (1781-1831) und seine Frau Bettina (1785-1859), geborene Brentano. Die ehemalige Hausherrin von Wiepersdorf starb vor 150 Jahren und wird 2009 mit mehreren Veranstaltungen gewürdigt.

Achim von Arnim, Ölbild von Peter Eduard Ströhling (1804). 
© ML Preiss
Achim von Arnim, Ölbild von Peter Eduard Ströhling (1804).

Aber so idyllisch sich das Herrenhaus südlich von Berlin auch darstellt und so gern sich hier Stipendiaten zum Arbeiten und Wohnen zusammenfinden, führte das Paar ein weit weniger romantisches Leben als alle späteren Gäste des Künstlerhauses. Denn auch wenn Achim von Arnim für die Poesie lebte, konnte er doch nicht von ihr leben. Mangels einer angemessenen Anstellung bewirtschaftete er das geerbte, aber verschuldete Land, züchtete Schafe und zog Rüben.

Auch den Park mit seinen Skulpturen aus Italien, die fröhlich ausschwingende Orangerie und die sorgsam angelegten Blumenbeete gab es zur Zeit des Dichterpaares noch nicht. All dies ist das Werk des Enkels, des gleichnamigen Malers Achim von Arnim (1848-1891). Ihm gelang es, dem märkischen Sandboden durch neue landwirtschaftliche Techniken mehr Erträge abzuringen als dem Großvater. Sein Geld steckte er - darin ganz Dichterspross - in Kunst und Architektur und verwirklichte seinen Traum vom fürstlichen Wohnen. Bis zu seinem Tode erweiterte und verschönerte er das Gut und malte eigenhändig Decken und Türen seines Ateliers aus.

Der Dichter von Arnim entwickelte in seiner neuen Heimat eine "unheimliche" Schöpferkraft. Er schrieb phantastische Erzählungen, die von grauenhaften Gespenstern bevölkert werden, Novellen und Romane wie "Die Kronenwächter" (1817) und "Fürst Ganzgott und Sänger Halbgott" (1818). Erst viel später sollte Wiepersdorf für Bettina von Arnim eine Quelle der Inspiration werden. Nachdem sie ihre sieben Kinder großgezogen und die meiste Zeit ihres Lebens in Berlin verbracht hatte - in Gesellschaft ihrer Freunde Tieck, Schleiermacher und den Brüdern Humboldt und Grimm -, lernte sie als reife Frau das Landleben schätzen. 1849 schilderte sie ihrer Schwester Gundula von Savigny den Tagesablauf in Wiepersdorf:

©  ML Preiss 
© ML Preiss
© ML Preiss

"Hier spring ich (...) aus dem Bett, wenn der Morgen graut, bleib am Schreibtisch sitzen bis Abends 7 Uhr oder auch bis 4 Uhr. Nach Tisch spring ich in den Garten, um mich mit den Geistern zu unterhalten, aber nur zehn Minuten und dann wieder ans Schreiben (...). Diese treffliche Einsamkeit macht mich glücklich."

Schon immer beeinflusste Wiepersdorf die Menschen, die hier leben und arbeiten: ob die Stipendiaten sich nun lieber in eines der Zimmer zurückziehen, im lichten Computerraum unter dem Dach mit der Welt kommunizieren oder weitab am Rande des Parks im umgebauten Heizhaus Skulpturen aus Eisen und Stahl schweißen. Ihre gemeinsame Zeit verbringen die Gäste - neben den Mahlzeiten im Gartensaal - besonders gern auf der Schlossterrasse. Dort treffen sie sich zum Nachmittagskaffee oder beim Glas Wein am Abend in kleiner Runde und lassen mit Blick auf den Park Vorstellungen von der "romantischen Geselligkeit" wiederaufleben.

1976, ein Jahr, bevor Sarah Kirsch in den Westen übersiedelte, veröffentlichte sie den elfteiligen Gedichtzyklus "Wiepersdorf". Er geht auf einen zweiwöchigen Aufenthalt 1973 zurück und fängt die Atmosphäre dort ein.

Abgeschirmt von alltäglichen Sorgen lassen sich seit mehr als zwei Jahren wieder Stipendiaten aus dem In- und Ausland von der Atmosphäre dieses geschichtenträchtigen Hauses anregen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz rettete in Kooperation mit dem Land Brandenburg und, unterstützt vom Bund, das älteste deutsche Künstlerhaus, indem sie es 2006 in ihre Trägerschaft übernahm und restaurierte, und bietet seither jedes Jahr etwa 40 jungen Künstlern Gelegenheit zur Arbeit und zum Austausch.

Eine "Ehemalige", die Dänin Inger Christensen, begeisterte sich im Februar 1995: "(...) die wochenlange Sonntagsstille, wo die Sehnsucht modert. Die besten Bedingungen (...) für das Schreiben." Es sei all denen ähnliches Glück gewünscht, die sich in Zukunft in Wiepersdorf aufhalten!

Christiane Schillig

Gedicht von Sarah Kirsch aus dem elfteiligen Zyklus
"Wiepersdorf" von 1976

Hinter Jüterbog öffneten sich
Der erste, der zweite Himmel, ließen herab
Strömen was sich gesammelt hat, siehe
Es wurde ein mächtiger blasenschlagender
Landregen draus, es goß sogar Schwefel.
Später in Wiepersdorf, als zwischen zwei
Windhosen die Möglichkeit war, sich zu ergehen
Das liebe freie Land
Recht ins Auge zu fassen, war Freude
Freude. Die schönen Fenster im Malsaal
Öfter sechs mal vier kleine Scheiben, die Flügel
Von zierlichen Knebeln gehalten. Innen
Bizarres, altes schlängelndes zipfelbemütztes
Kakteengewirr, außen
Maifrischer Park.
Die Steinbilder lächeln, ich ging
Gleich bis zum Zeus, der hielt den Blitz an der Stelle
Wo der Park mit dem Wald schläft. Englischer Rasen
Den bläuliches Waldgras verstrickt hat, es reckt
Noch ein Fliederbusch!
Vergissmeinnichtblaue Finger zum Himmel und
Selbstverständlich Unmassen Vögel ringsum
In Büsche und Bäume geworfen. Ich staunte
Vor Stunden noch enge im Hochhaus
In der verletzenden viereckigen Gegend, nun
Das - ich dachte bloß noch: Bettina! Hier
Hast du mit sieben Kindern gesessen, und wenn
Landregen abging
Muß es genauso geklappert haben Ende Mai
Auf die frischaufgespannten Blätter - ich sollte
Mal an den König schreiben.

(aus: Clara von Arnim; Bettina von Arnim: Das bunte Band des Lebens. Die märkische Heimat und der Neubeginn im Kupferhaus. Scherz Verlag, Bern/München/Wien 1998, S. 331.)

Zum Weiterlesen Deutschlandfunk - Essay und Diskurs:
Romantische Reihe, Teil 1:

Romantische Reihe, Teil 2:

Kopfgrafik - Bild links: Pastellbild von Bettina von Arnim, gemalt von Achim von Arnim-Bärwalde

Weitere Infos im WWW:

www.schloss-wiepersdorf.de

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