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Laubengänge in Italien, Böhmen und Deutschland

Kolonnaden für Flaneure

Unter den Städten Norddeutschlands weist Münster in Westfalen eine Besonderheit auf: die Lauben am Prinzipalmarkt. Unser Bild zeigt sie im Zustand des Wiederaufbaus nach der weitgehenden Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Dabei wurden die alten, schmalen Parzellen und die Lauben beibehalten beziehungsweise rekonstruiert, die Giebelfronten frei nachgebildet. Als neuer Markt entstand er nach 1150, den Namen Prinzipalmarkt erhielt er etwa 1600.

Der Prinzipalmarkt in Münster  
© Roman Mensing
Der Prinzipalmarkt in Münster

Nördlich der Alpen dürften dies die ältesten Lauben gewesen sein, und man wundert sich, dass bei unserem regnerischen Klima nicht mehr mittelalterliche Städte auf den Gedanken gekommen sind, Lauben zum Schutz der flanierenden Käufer anzulegen. Die größte Verbreitung haben diese im Alpenraum, zum Beispiel in den Südtiroler Städten Bozen und Brixen, wo bereits die Straßennamen Laubengasse und Große beziehungsweise Kleine Lauben auf dieses Architekturmotiv hinweisen. Brixen wurde schon früh unter den Bischöfen Heriward und Hartwig (1017-39) planmäßig angelegt, gehört demnach zu den ältesten Städten im deutschen Sprachraum. Der regelmäßig-rechteckige Siedlungskern deutet darauf hin, dass Brixen eventuell über einer römischen Civitas entstanden ist. Das würde auch die Verwendung von Lauben erklären, denn die Fußwege der Ladenstraßen griechischer und römischer Städte erhielten zum Schutz der Passanten Kolonnaden, wie sie in Herkulaneum ausgegraben wurden. Diese Stadt, die 79 n. Chr. beim Ausbruch des Vesuvs von einer 16 Meter hohen, bereits abgekühlten Schlammlawine verschüttet wurde, hatte sich unter Luftabschluss besonders gut erhalten.

Gedeckte Gänge mit bogenförmigen Öffnungen oder Nischen in Ladenstraßen zeigt auch der Markt im 107-143 n. Chr. erbauten Trajansforum von Rom. Hier und in den Marktstraßen römischer Städte wie Herkulaneum könnten die Wurzeln für das Motiv der Lauben mittelalterlicher Straßen und Plätze liegen.

Kolonnaden in Herkulaneum (links) und am römischen Trajansforum  
© G. Kiesow / G. Kiesow
Kolonnaden in Herkulaneum (links) und am römischen Trajansforum

Zu den ältesten gehören die an der "Altstadt" genannten Straße von Landshut, wie sie gleich nach der Stadtgründung 1204 im ältesten Teilstück zwischen Martinskirche und Rathaus entstanden sind. Im Zuge der weiteren Bebauung der Altstadt bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts in Richtung der Spitalkirche wurden die an sich doch sehr praktischen Lauben weggelassen. Auch am 600 Meter langen Straßenmarkt der 1218 vom selben Herzog, Ludwig dem Kehlheimer, gegründeten Stadt Straubing fehlen sie.

Zeitlich folgt der ebenfalls bald nach 1200 planmäßig angelegte Untermarkt von Görlitz, der an seiner Südseite noch die sogenannten Langen Lauben besitzt. Während bei den Hirschlauben an der Ostseite des Untermarktes die Bausubstanz zusammen mit dem Gasthaus zum Hirschen nach dem Stadtbrand von 1691 barock erneuert wurde, bewahrt bei den Langen Lauben auch das Innere (s. Kopfgrafik links) weitgehend seinen mittelalterlichen Charakter. Es dürften vom Erscheinungsbild und der Bausubstanz her die ältesten und am besten erhaltenen Lauben nördlich der Alpen sein. Einst gab es auch an der Westseite noch die sogenannten Pilzlauben, sie mussten 1902 dem großen Erweiterungsbau des Rathauses weichen. Ob auch die Häuser an der Nordseite einst Lauben aufwiesen, ist nicht mehr festzustellen.

Die "Altstadt" genannte Straße in Landshut: Der ältere Teil (links) verfügt über Laubengänge, der jüngere (rechts) dagegen nicht.  
© Roland Rossner / G. Kiesow
Die "Altstadt" genannte Straße in Landshut: Der ältere Teil (links) verfügt über Laubengänge, der jüngere (rechts) dagegen nicht.

Wäre dies der Fall gewesen, hätte der Untermarkt von Görlitz jenen Städten in Böhmen geglichen, die wie Teltsch einen ringsum von Lauben umstandenen Marktplatz haben. Es ist dies das großartigste Beispiel eines von Lauben geprägten Marktplatzes, weswegen Teltsch auch 1992 von der UNESCO in die Liste des Weltkulturerbes eingetragen wurde. Im heutigen Tschechien, dem einstigen Königreich Böhmen, zu dem auch Görlitz bis 1525 gehörte, kommen Lauben an Marktplätzen häufig vor, so unter anderem in Kolin, Königgrätz und Saaz (s. Kopfgrafik rechts). Letzteres wurde 1248 civitas genannt und beherbergte hauptsächlich Zuwanderer aus Deutschland.

Die Langen Lauben (links) und die Hirschlauben am Görlitzer Untermarkt  
© G. Kiesow / G. Kiesow
Die Langen Lauben (links) und die Hirschlauben am Görlitzer Untermarkt

Man hat die Lauben von Görlitz wegen der Nähe zu Böhmen von den dortigen Beispielen abgeleitet, die jedoch durchweg später entstanden sind. Teltsch wird erst 1366 civitas genannt, sein Marktplatz mit den Lauben nach der Feuersbrunst von 1530 geschaffen. Wahrscheinlich gehen sowohl das ältere Görlitz als auch die jüngeren böhmischen Beispiele auf Südtiroler Vorbilder wie Brixen oder Bozen zurück, mit denen sie durch den Handelsweg von Italien über die Alpen, durch Böhmen, die Oberlausitz, dann der Neiße und Oder folgend bis an die Ostsee verbunden waren.

Die Herkunft der Lauben aus der römisch-antiken Baukunst, vermittelt durch die Städte am südlichen Alpenrand, lehrt uns, dass Städtebau und Architektur keine nationalen Schöpfungen sind, sondern auf europäischen Wurzeln beruhen. Es gilt, sich auf diese gemeinsame Kultur zu besinnen und sie endlich von Brüssel aus zu fördern - sowohl im Abbau bürokratischer Schranken beim Stiftungsrecht, als auch durch verstärkte finanzielle Zuwendungen für gefährdete Baudenkmale.

Professor Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow

Der Marktplatz im böhmischen Teltsch  
© G. Kiesow
Der Marktplatz im böhmischen Teltsch


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