Öffentliche Bauten Historismus Verkehr Juni 2007 B

Der Anhalter Bahnhof

Das Tor zur Welt

In Berlin haben es Bahnhöfe nicht immer leicht: Nicht nur an modernen Stationsgebäuden lösen sich mitunter Bauteile, auch von historischen Bahnhöfen drohen manchmal Dinge zu fallen - auch wenn die Bauwerke selbst nur noch aus Bruchteilen bestehen. So mussten ab 1998 Zäune den Rest des Anhalter Bahnhofs in Berlin-Kreuzberg sichern, als sich dort Steine lockerten und die Passanten gefährdeten.

Ein Stück Berliner Geschichte: die Ruine des Anhalter Bahnhofs mitten in der Stadt 
© ML Preiss
Ein Stück Berliner Geschichte: die Ruine des Anhalter Bahnhofs mitten in der Stadt

Mit Schrecken stellte man nach Beginn der Ruinensicherung im Oktober 2002 fest, dass die Unterkonstruktionen der Kolossal-Plastiken "Tag" und "Nacht" auf dem einstigen Bahnhofsvestibül stark verrostet waren. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie einfach herabgestürzt wären. So paradox es klingt: Auch Ruinen müssen restauriert werden.


Mittlerweile haben die Galvanoplastiken einen sicheren Standort nicht weit entfernt im Deutschen Technikmuseum Berlin gefunden. Auf der Ruine stehen Bronzenachgüsse. Dort sicherte man 2002-04 in aufwendiger Arbeit die Bruchkanten, Steine wurden ausgetauscht und der das Mauerwerk sprengende Pflanzenbewuchs beseitigt. Bund, Land und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die 306.000 Euro bereitstellte, unterstützten die Arbeiten an dem Wahrzeichen, das so viel Berliner Geschichte von der Kaiserzeit über die goldenen zwanziger Jahre, von schlimmen Zeiten und vom Krieg, von der Teilung der Stadt und schließlich vom Fall der Mauer erzählt. Was man sich heute mit Blick auf die etwas trostlose Lage des Denkmals nur noch schwer vorstellen kann: Ende des 19. Jahrhunderts war der Askanische Platz vor dem Anhalter Bahnhof - gerne auch "Tor zur Welt" genannt - einer der schicksten in der ganzen Stadt. Gleich sechs noble Hotels befanden sich hier, darunter das berühmte Excelsior - durch einen unterirdischen Gang mit dem Bahnhof verbunden. Er bewahrte einerseits Diskretion und Exklusivität, schützte aber andererseits auch vor dem Verkehrstreiben auf dem Bahnhofsvorplatz darüber: 13 Straßenbahnen und zahlreiche Omnibusse trafen sich in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts vor dem Anhalter Bahnhof.

Kurz nach der Reichsgründung 1871 war er von Franz Schwechten entworfen worden. Der Vorgängerbau von 1841 hatte die stark wachsenden Passagierzahlen nicht mehr verkraftet. Das Ergebnis beeindruckte allgemein: Für das bis 1880 aus Backstein mit Terrakotta-Dekorationen errichtete Gebäude im Neorenaissancestil hatte der 32-jährige Architekt eine riesige, 34 Meter hohe Empfangshalle für 400 Personen und diverse Zimmer eigens für den Kaiser gestaltet. Mit 170 mal 62 Metern hatte die Bahnsteighalle gewaltige Ausmaße und ließ Walter Benjamin von der "Mutterhöhle der Eisenbahnen" sprechen. 120 Jahre später ist von dem gigantischen Bauwerk nur noch der traurige Rest des Eingangsportals übriggeblieben. Trotz starker Zerstörungen im Februar 1945 war der Bahnhof nach Kriegsende noch funktionstüchtig. Doch der Berliner Schienenverkehr lag in den Händen der Deutschen Reichsbahn Ost, die die Zufahrten in den Westteil der Stadt kappte. Die DDR-Regierung verlangte ab 1952: "Die bisher von und ab Berlin-Anhalter Bahnhof fahrenden Züge beginnen und enden jetzt in Berlin-Ostbahnhof, Baumschulenweg und Teltow." Der Anhalter Bahnhof verwaiste und wurde schließlich 1959 bis 1961 von den Westberlinern bis auf den Portalrest abgetragen. Im selben Jahr wurde in der Nähe die Mauer hochgezogen. Das riesige ehemalige Bahngelände, das sich bis zum Landwehrkanal erstreckt, verwahrloste, die ehemaligen Gleisanlagen wurden zu einem einmaligen, fast vergessenen Biotop, das sich seit der Wiedervereinigung plötzlich mitten im Zentrum Berlins befindet.

Der Anhalter Bahnhof bei der Restaurierung 2002-04 
© R. Rossner
Der Anhalter Bahnhof bei der Restaurierung 2002-04

Auf dem Gelände des ehemaligen Anhalter Güterbahnhofs auf der anderen Seite des Kanals hat die Zukunft bereits begonnen. Die beiden alten Lokschuppen, das ehemalige Verwaltungsgebäude der Markt- und Kühlhallengesellschaft und das Bahnhofsgebäude - ebenfalls ein Bau von Franz Schwechten - nutzt das Technikmuseum. Es wird zur Zeit zu einem der weltweit größten seiner Art ausgebaut. Neben den Galvanoplastiken "Tag" und "Nacht" und einigen geretteten Überbleibseln des Personenbahnhofs ist hier eine große Modellbahnanlage des Anhalter Personen- und Güterbahnhofs von 1938 zu sehen.

Das Ruinen-Schicksal scheint dem Architekten Schwechten anzuhängen: Ein anderer Bau von ihm ist auch seit den 1950er Jahren ein berühmtes Berliner Ruinen-Denkmal, dessen Restaurierung ebenfalls dringend erforderlich ist: die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche.

Beatrice Härig

Im Deutschen Technikmuseum Berlin sind die Original-Galvanoplastiken im Lokschuppen zu sehen. Trebbiner Straße 9, 10963 Berlin. Tel. 030/902540.

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