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Die schwäbische Eisenbahn

Wo auch "Kuh und Ochse fahre ..."

"Auf de Schwäb'sche Eisebahne gibt's gar viele Haltstatione: Schtuegart, Ulm und Biberach, Mekkebeure, Durlesbach. Rulla, rulla, rullala, Schtuegart, Ulm und Biberach, Mekkebeure, Durlesbach."

Trinkfreudigen Studenten aus Tübingen verdanken wir wohl die heimliche "schwäbische Nationalhymne". Aus einer Festtagslaune heraus dichteten sie um 1850 zur Feier der eröffneten Hauptstrecke der Königlich-Württembergischen Staatsbahn das Lied auf die Schwäbische Eisenbahn. Die unzähligen Varianten des frechen Studentenliedes sind ein Hohelied auf ein neues Lebensgefühl und auf eine technische Erfindung: Mit dem Bau der Eisenbahn wurden nicht nur Wirtschaft und Industrie in der Region angekurbelt, sondern sie eröffnete den Menschen damals - unabhängig von sozialen Schichten - eine andere Welt: eine Welt, in der große Entfernungen kein Hindernis mehr darstellten.

Den Startschuss gab 1835 die Einweihung der ersten Eisenbahnstrecke zwischen Nürnberg und Fürth. Kurz danach setzten sich Vertreter aus Politik, Handel und Gewerbe dafür ein, aus privaten Mitteln eine Eisenbahnstrecke zwischen Heilbronn und Friedrichshafen über Stuttgart und Ulm zu bauen. Doch das Projekt wurde wegen zu hoher Kosten auf Eis gelegt. Vergessen hat man die Schwäbische Eisenbahn aber nicht, und schließlich unterzeichnete der in Stuttgart residierende König Wilhelm I. 1843 nach vielen Prüfungen ein Gesetz zum Bau der Eisenbahnen in seinem Land. Für die Befürworter kam es Jahre zu spät, weil zum einen andere Betreiber in den Staaten des Deutschen Bundes bereits viel weiter gediehen waren und zum anderen die Befürworter eines Kanals zwischen dem Flüsschen Fils und dem Neckar eine starke Lobby gewonnen hatten.

Das "Staubsche Arbeiterquartier" in Kuchen wurde 1858 bis 1869 als Werksiedlung errichtet. 
© ML Preiss
Das "Staubsche Arbeiterquartier" in Kuchen wurde 1858 bis 1869 als Werksiedlung errichtet.

Zwischen 1840 und 1880 entstanden rund 80 Prozent des bestehenden deutschen Schienennetzes, rund 30.000 Kilometer Eisenbahnstrecke wurden damals fertiggestellt. Bis zum 20. Jahrhundert hatten alle Länder Bahnen gegründet wie etwa die Königlich Bayerische Staatsbahn, die Württembergische Staatsbahn oder die Königlich Sächsische Staatsbahn.

Die größte Herausforderung beim Bau der Strecke zwischen Stuttgart und Ulm war die Überquerung der schroffen Höhenzüge der Schwäbischen Alb. Viele Streckenführungen wurden vorgeschlagen und wieder verworfen.
Von 1847 bis 1850 gelang dem Ingenieur Michael Knoll beim Streckenbau durch das Filstal ein ingenieurtechnisches Meisterstück: die Geislinger Steige. Auf dieser knapp sechs Kilometer langen Rampe zwischen der "Fünftälerstadt" Geislingen und dem Bahnhof Amstetten müssen die Züge 112 Höhenmeter überwinden.

Ein Schmalspurzug der Appenzeller Bahn ist in Amstetten zu sehen. 
© ML Preiss
Ein Schmalspurzug der Appenzeller Bahn ist in Amstetten zu sehen.

Das Vertrauen in die Technik war groß. Denn als die Steige geplant wurde, gab es noch keine Lokomotiven, die die Rampe geschafft hätten. Bis heute stoßen die Züge dort an ihre Grenzen, denn die Last der Züge und die Kraft der Lokomotiven werden ständig ausgereizt. Bis zum Ende der Dampflokzeit standen auf dem Geislinger Bahnhof bullige Tenderloks der Baureihe 95 und später elektrische Krokodil-Lokomotiven der Baureihen E 93 und E 94 bereit, um den Zügen auf die Alb zu helfen. Auch heute noch leisten schwere E-Loks den Schiebedienst an Güterzügen.

Ab 1850 war die rund 240 Kilometer lange Strecke der schwäbischen Eisenbahn von Heilbronn nach Friedrichshafen am Bodensee durchgehend befahrbar. Damit begann die Wirtschaft zu florieren. Zahlreiche Unternehmen siedelten sich an, die Bahn brachte Ansehen und Wohlstand. Noch heute bietet sich den Bahnreisenden ein properes Bild.

Bereits 1835 schwärmte Friedrich List, Vorkämpfer für den Eisenbahnbau, im "Pfennig-Magazin" von den Vorteilen: "(...) Westpreußen, Schlesien, Baiern und Oberschwaben werden ihr Getreide, der Neckar, Rhein, Main und Mosel ihre Weine, der meißner Kreis, der Harz, das Erzgebirge usw. ihre Steinkohle 50-100 Meilen weit ebenso leicht verfahren als jetzt 10 Meilen. Die Mittel der Volksbildung und die Landeseinkünfte werden sich verdoppeln; der Landbau wird sich aufrichten, die Fabriken werden blühen und Deutschland wird erfahren, was Binnenhandel ist."

Das Renaissance-Rathaus von Esslingen ist ein Förderprojekt der DSD. 
© ML Preiss
Das Renaissance-Rathaus von Esslingen ist ein Förderprojekt der DSD.

Zum führenden Wirtschaftszweig in Schwaben entwickelte sich die Metallindustrie. So wurde zum Beispiel vor 150 Jahren in Geislingen die Württembergische Metallwarenmanufaktur, WMF, gegründet, die sich rasch zum größten Unternehmen Württembergs mauserte. Vor dem Ersten Weltkrieg beschäftigte es bereits 6.000 Mitarbeiter. Robert Bosch ließ sich 1886 in Stuttgart mit seinem Werk für Feinmechanik und Elektrotechnik nieder, und die Maschinenfabrik Esslingen profitierte vom Eisenbahnbau selbst, indem sie Lokomotiven herstellte. Ab 1887 arbeitete sie mit der in Bad Cannstatt bei Stuttgart angesiedelten Daimler-Motoren Gesellschaft zusammen, in der Gottfried Daimler vor seinem Einstieg in die Automobilindustrie Motoren für Loks entwickelte.

Spätestens nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 wandelte sich Stuttgart vom Mittelpunkt deutscher Geisteskultur zum Zentrum für Zulieferer von Eisenbahnen und Automobilen. Ulm hatte zunächst ziemliche Schwierigkeiten, sich den neuen Wirtschaftsmöglichkeiten anzupassen, da die Stadt ab 1841 zu einer starken Festung ausgebaut und damit die Erschließung der Verkehrswege erschwert wurde. Erst als um die Jahrhundertwende die Festungswälle teilweise niedergelegt wurden, entwickelte sich Ulm zum Dreh- und Angelpunkt für den europäischen Handel, wurden die umliegenden Zement-, Messing-, Eisen- und Textilwerke zu leistungsfähigen Exportindustrien. Den Zugreisenden wundert es heute nur, dass der Zug die Festungsmauern durchquert.

Doch den größten Gewinn an der Eisenbahn hatten die Menschen. Sie konnten auf einmal Wege zurücklegen und Ziele anfahren, die sonst unerreichbar gewesen wären oder Tage gedauert hätten.

Ulm ist ein Knotenpunkt des süddeutschen Eisenbahnnetzes. 
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Ulm ist ein Knotenpunkt des süddeutschen Eisenbahnnetzes.

So konnte ein Kaufmann seine Geschäfte in anderen Großstädten tätigen, die Bauersfrau ihre Körbe voll Eier und Gemüse auf den Märkten in der Umgebung feilbieten, der Bauer seinen erworbenen Grund und Boden beim Amt in der Stadt eintragen lassen, oder Studenten konnten Land und Leute erkunden: "Auf de schwäbsche Eisebahne könne Kuh und Ochse fahre, d' Studente fahre erste Klass, s'mache das halt nur zum Spaß." Trotz der Klassen in den Zügen waren vor dem Fahrplan und den Signalen alle Menschen gleich und die Billets erschwinglich. Das ist das Lebensgefühl, das sind die Welten, die das Volkslied so anschaulich beschreibt: Moderne Technik trifft auf ländliche Rückständigkeit. Eine Konstellation, die kuriose Auswüchse hatte: "Eine Geiß hat er sich kaufet und daß sie ihm nit entlaufet, bindet sie de guete Ma hinte an de Wage a." So gemächlich, wie der Bauer in dem Lied glaubte, war die Fahrt dann aber doch nicht: "Böckli, tu nuer woidle springe, 's Fresse werd i dir scho bringe." Und so hatte der empörte Bauer beim nächsten Halt vom Böckle "bloß no Kopf und Soil an dem hintre Wagetoil".

Heute ist das Tempo eindeutig ein anderes. Geschmeidig gleiten Regionalbahnen und ICEs die Strecke entlang. Doch nach wie vor ist zwischen Stuttgart und Ulm an schnelles Fahren nicht zu denken. Die mit Spannung erwartete Geislinger Steige nimmt man eigentlich nur wahr, weil der schöne Ausblick auf die fünf Täler um Geislingen plötzlich durch einen Waldhang versperrt wird. Das fällt den Reisenden sofort auf, denn der Blick auf das liebliche, weite schwäbische Land mit seinen Wiesen und Wäldern, sanften Hügeln und den unzähligen dazwischen verstreuten Dörfern ist vom Zug aus wunderschön.

Den Marktplatz von Biberach überragt der Barock-Turm der Stadtpfarrkirche. 
© ML Preiss
Den Marktplatz von Biberach überragt der Barock-Turm der Stadtpfarrkirche.

Obwohl die Landschaft sich kaum ändert, ist der Eindruck historisch gewachsener Industrieansiedlungen zwischen Stuttgart und Ulm stärker als zwischen Ulm und Friedrichshafen. Man hat das Gefühl, dass dort schon immer mehr die nahe Erholung gesucht wurde. Ein Eindruck, den der häufige Namenszusatz "Bad" bestätigt. Die Tourismusämter haben dies schon längst erkannt und verlockend umgesetzt.

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