Landschaften, Parks und Friedhöfe Archäologie

Vor 150 Jahren wurde der Neandertaler entdeckt

Der Irrtum des Rudolf Virchow

Das Gedränge im Neandertal war groß. Jeder wollte als Erster einen Blick auf die Grabungsfunde in diesem berühmten Tal unweit von Düsseldorf werfen. Als die Archäologen Dr. Ralf W. Schmitz und Dr. Jürgen Thissen auf einer Pressekonferenz im September 2000 schließlich zeigten, wie exakt ein wenige Tage zuvor geborgenes Jochbein zu der 1856 entdeckten Schädeldecke des Neandertalers passte, stockte uns der Atem: Es sah so aus, als schaute uns der alte Herr nun an, weil die linke seiner für ihn so typisch runden Augenhöhlen durch den Fund ergänzt werden konnte.

Dr. Ralf W. Schmitz (r.) und Dr. Jürgen Thissen bei der Präsentation der neuen Funde  
© C. Nathan
Dr. Ralf W. Schmitz (r.) und Dr. Jürgen Thissen bei der Präsentation der neuen Funde

Nach jahrelangen Recherchen war es den beiden Wissenschaftlern 1997 gelungen, die Lage des Felsens zu bestimmen, in dem sich noch Mitte des 19. Jahrhunderts die sogenannte Kleine Feldhofer Grotte befunden hatte. Dort waren Steinbrucharbeiter vor 150 Jahren auf Knochen eines - wie sie meinten - Höhlenbären gestoßen, die der Elberfelder Lehrer und Naturforscher Johann Carl Fuhlrott jedoch als Teile eines menschlichen Skeletts identifizierte.


Fuhlrotts Vermutung, dass die Gebeine "durch die Eigentümlichkeit ihres osteologischen Charakters und die localen Bedingungen ihres Vorkommens zu der Ansicht verleiten können, dass sie aus der vorhistorischen Zeit, wahrscheinlich aus der Diluvialperiode stammen", löste eine heftige Kontroverse unter den Gelehrten jener Zeit aus. Da nicht sein kann, was nicht sein darf, weigerte sich der Berliner Pathologe Rudolf Virchow, die Knochen einem fossilen Menschen zuzuschreiben. Sie seien, so legte der berühmte Wissenschaftler fest, Zeitgenossen und lediglich krankhaft verändert. Der Bonner Anatomieprofessor Franz Josef Carl Mayer hielt den Fund gar für das Skelett eines Kosaken, der "in der Gegend von Mettmann oder in der Umgebung des Düsselthales lagerte, um am 14. Januar 1814 über den Rhein gegen Frankreich zu ziehen". Die auffällige Krümmung des Oberschenkelknochens führte Mayer auf die langjährige Reiterei des "Kosaken" zurück.

Dass der Neandertaler trotz dieser Ansichten einflussreicher Wissenschaftler nicht in Vergessenheit geriet, ist auch Charles Darwin zu verdanken. Er veröffentlichte die Ergebnisse einer fünfjährigen Forschungsreise beinahe zeitgleich mit dem Gelehrtenstreit über den Fund im Neandertal. In seinem 1871 erschienenen Werk "The Descent of Man and Selection in Relation to Sex" bewies er, dass der Mensch wie alle Arten eine Evolution durchlaufen habe. Ein Aufschrei vor allem in kirchlichen Kreisen war die Folge, sollte der Mensch nach Darwin doch kein Geschöpf Gottes sein. Samuel Wilberforce, Bischof von Oxford, warf dem englischen Wissenschaftler Ketzerei vor.

Vor 150 Jahren wurden in der Feldhofer Grotte die ersten Knochen eines Neandertalers gefunden.  
© Neanderthal Museum
Vor 150 Jahren wurden in der Feldhofer Grotte die ersten Knochen eines Neandertalers gefunden.

Wie wir heute wissen, hatte Johann Carl Fuhlrott mit seiner These von der Existenz fossiler Menschen vollkommen recht. Doch dies wurde erst 1886, also neun Jahre nach seinem Tod, durch den Fund zweier weiterer Neandertaler im belgischen Spy endgültig bewiesen. Bis heute sind auf dem gesamten Globus zahlreiche Skelettfragmente entdeckt worden, die dem Homo sapiens neanderthalensis zugeschrieben werden. Bis vor kurzem blieb allerdings im Dunkeln, ob der Neandertaler ein direkter Vorfahre von uns ist. Im Jahr 1996 reisten die Archäologen Schmitz und Thissen sowie die Präparatorin Heike Krainitzki mit einer 3,5 Gramm schweren Halbscheibe, die dem 1856 entdeckten rechten Oberarmknochen des Neandertalers entnommen worden war, in das Münchner Institut des Molekularbiologen Svante Pääbo.

Bei der dort vorgenommenen DNA-Analyse stellte man schließlich fest, dass wir offenbar nicht vom Neandertaler abstammen.

Der Hartnäckigkeit der beiden Wissenschaftler ist auch zu verdanken, dass im Neandertal weitere Gebeine gefunden wurden. Die genaue Position der Kleinen Feldhofer Grotte war nämlich seit Beginn des 20. Jahrhunderts nicht mehr bekannt, da das Kalkgestein dem industriellen Abbau zum Opfer gefallen war. Heute erinnern nur noch die Skizzen, Studien und Gemälde der berühmten Düsseldorfer Landschaftsmaler des 19. Jahrhunderts an die wildromantische Felslandschaft, die einst "Gesteins" oder "Hundsklipp" hieß. Erst um 1850 taucht zum ersten Mal der Name "Neandertal" auf, der auf den bekannten Theologen Joachim Neander (1650-1680) zurückgeht. Ihm verdanken wir so schöne Kirchenlieder wie "Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren".

Ende der 1990er Jahre entdeckte man bei einer Grabung im Neandertal weitere Knochenfragmente. 
© Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege
Ende der 1990er Jahre entdeckte man bei einer Grabung im Neandertal weitere Knochenfragmente.

Die beiden Steinbrucharbeiter, die 1856 auf die Knochen des Neandertalers gestoßen waren, hatten Johann Carl Fuhlrott gegenüber behauptet, dass sie den Abraum aus der Kleinen Feldhofer Grotte direkt nach dem Fund an einen anderen Ort gebracht hatten. Doch das mochten die Archäologen Schmitz und Thissen nicht glauben. Nach einer von der Kölner Universität in den Jahren 1983 bis 1985 vergeblich durchgeführten Grabung stießen sie 1997 auf die ersten Funde. Sie hatten also mit ihrer Vemutung recht behalten, dass die Arbeiter die lehmige Höhlenfüllung einfach ins Tal geworfen hatten. Bei der Grabung, die auch von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt wurde, fand man neben 5.000 bis 6.000 Steingeräten und verbrannten Tierknochen - Reste von Mahlzeiten, die die Nutzung von Feuer belegen - auch drei Dutzend menschliche Knochenfragmente. Sie ergänzen das Skelett des 1856 entdeckten Neandertalers, aber auch das eines zweiten Menschen.

Die in der Ausstellung „ROOTS“ gezeigte Büste des Neandertalers 
© ZDF
Die in der Ausstellung „ROOTS“ gezeigte Büste des Neandertalers

Auf Anregung des Bonner Anatomieprofessors Hermann Schaaffhausen (1816-1893), der die Ansichten Fuhlrotts immer glühend verteidigt hatte, wurden die ersten, in der Feldhofer Grotte entdeckten Gebeine im Jahre 1877 vom Bonner Provincialmuseum - dem heutigen Rheinischen LandesMuseum Bonn - für 1.000 Goldmark ersteigert.

Sie sind dort zur Zeit mit über 60 Original-Funden von Vor- und Frühmenschen aus Afrika, Asien und Europa in der Ausstellung "ROOTS//Wurzeln der Menschheit" zu sehen. Dort wird auch eine Büste gezeigt, die ein deutsch-schweizer Expertenteam mit modernster Computertechnik anhand der Schädelreste hergestellt hat.

Im Neanderthal Museum, das vor zehn Jahren in der Nähe des Fundorts eröffnet wurde, gibt es ebenfalls eine lebensechte Rekonstruktion des Neandertalers, die ihn als lächelnden Jäger zeigt. So schmücken sich Bonn und Düsseldorf mit dem alten Herrn aus der letzten Eiszeit. Konrad Adenauer hätte ihn gerne auch für seine Heimatstadt Köln vermarktet und behauptete daher: "Der Neanderthaler, dat is 'ne kölsche Jong, der sich nach Düsseldorf verlaufen hat und dort auch prompt erschlagen wurde."

Carola Nathan

Weitere Infos im WWW:

www.rlmb.lvr.de www.neanderthal.de

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