Kurioses August 2006 F

Vom Baumstamm zu Figurenbeuten

Bienen im Bauch

Für die Dorfkinder von Neugernsdorf war es eine ausgemachte Mutprobe, Petrus zu ärgern. Mit allerlei Wurfmaterial bewaffnet, schlichen sie sich an das Bauernhaus heran. Dort stand er, Petrus, riesengroß, mit strengem Blick und einem Säbel in der Hand. Der hölzerne Kerl wurde so lange beworfen, bis er mit seinem Säbel drohte. Vom Küchenfenster aus hatte die Bäuerin alles im Blick und vertrieb die Eindringlinge, indem sie mit einer Holzvorrichtung den bewaffneten Arm des Petrus zornig auf und nieder schwingen ließ.

Für die johlenden Kinder ein Erfolg, denn schlimmer wäre gewesen, die Bienen, die in Petrus ihren Stock hatten, aufzustören und zum Angriff zu verleiten.

Figurenbeuten: Petrus und Judas (r.) in türkischem Habit  
© ML Preiss
Figurenbeuten: Petrus und Judas (r.) in türkischem Habit

Petrus ist eine der sogenannten Figurenbeuten. Als Beute wird in der Imkerei der Bienenstock bezeichnet. Bevor die Menschen zur Gartenbienenzucht übergingen, betrieben sie, vor allem in den ausgedehnten Waldgebieten der östlichen Mittelgebirge, die Waldbienenzucht. Die Zeidler, wie die Imker früher genannt wurden, siedelten Bienenvölker in Baumstämmen an, die entweder von Natur aus hohl waren oder die sie in sicherer Höhe ausgehöhlt hatten. An den Stämmen kletterten sie hoch und lösten die Honigwaben aus. Bei der späteren Hausbienenzucht bauten sie dann für die Bienenvölker hölzerne Kästen oder flochten Strohkörbe, die sie in ihrem Garten oder nahe der Dörfer geschützt aufstellten.

Die Figurenbeuten sind eine eigene sorbisch-deutsche Form der Volkskunst, die in Schlesien, im nördlichen Böhmen, in der Lausitz, in Sachsen und Thüringen zu finden war. Zunächst hatte man abgeholzte Baumstämme für die Imkerei verwendet. An diesen Klotzbeuten wurden die Einfluglöcher der Bienen mit reliefartigen Gesichtern verziert, deren große Augen starr und drohend blickten. Dadurch sollten Krankheiten und böse Geister, aber vor allem diebische Tiere und Menschen von den Bienenstöcken ferngehalten werden. Ab dem frühen 18. Jahrhundert entwickelten sich aus den aufrecht stehenden Klotzbeuten die überlebensgroßen Holzfiguren, die oft als Wachen neben weiteren Kastenbeuten standen. Harte Strafen hatten zweibeinige Honigräuber auch vom Gesetz her zu erwarten.

Anfang des 20. Jahrhunderts ging diese Form der Volkskunst unter. Es gibt vier Sammlungen, die die Figurenbeuten bewahren. Sie befinden sich in Breslau/Wroclaw, Kreuzburg/Kluczbork, im Bienenmuseum in Weimar und im Agrar- und Freilichtmuseum im sächsischen Blankenhain bei Crimmitschau.

Die echten Glasaugen wirken besonders abschreckend. 
© ML Preiss
Die echten Glasaugen wirken besonders abschreckend.

Die Blütezeit der volkstümlich geschnitzten und bemalten Figurenbeuten lag zwischen der Mitte des 18. und dem Ende des 19. Jahrhunderts. Die Dorfschreiner oder die Bauern selbst fertigten die Gestalten. Da die wachhabenden Figurenbeuten besonders furchteinflößend wirken sollten, schnitzte man auf den Hinterbeinen stehende Bären, Löwen oder berüchtigte Krieger wie etwa Kosaken, Husaren, Türken oder finster blickende Zuaven - so nannte man die Nordafrikaner, die als Söldner in den napoleonischen Heeren kämpften. Mit der Zeit wurden die Figurenbeuten mehr zum Schmücken als zum Schrecken geschnitzt, und daher entstanden später auch Apostel und Heilige, Frauen, bärtige Männer und durchaus skurrile Gestalten. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt, und so mancher Dörfler ergriff die Gelegenheit und verspottete unbeliebte Zeitgenossen. Dabei wurden gerne auch die Einfluglöcher für die Bienen an delikaten Stellen gebohrt.

Den fleißigen Bienen war es gleichgültig, Hauptsache, die Beute - ob figürlich oder nicht - war warm und trocken. Und viele Dorfbewohner gingen weiterhin beim Schutz ihrer Bienen auf Nummer sicher und bauten nicht allein auf ihren christlichen Glauben - daher ist auch der heilige Petrus als waschechter Türke mit Turban, Pluderhose und Säbel ausgestattet.

Christiane Rossner

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