Interviews und Statements

Interview mit Dr. Doris Oltrogge, Expertin für Farbherstellung im Mittelalter

Das Geheimnis der Pigmente

Dr. Doris Oltrogge ist Forschin zur Restaurierung von Schriftgut, Graphik und Buchmalerei. Sie beantwortet Fragen zur Methodik und Technik der Buchmalerei und ihrer Konservierung.

MO: Sie sind Spezialistin für Maltechnik und Materialität mittelalterlicher Buchmalerei. Mit welchen Methoden ermitteln Sie die verwendeten Materialien?

Dr. Doris Oltrogge: An erster Stelle steht immer die Betrachtung mit dem Stereomikroskop, um den Malschichtaufbau, also die Vorgehensweise des Malers, zu bestimmen. Dabei kann man schon sehr viel über die Materialien erfahren, also ob Pigmentmischungen vorliegen, welche Farben übereinander gemalt sind usw. Das hilft später bei der Interpretation von Messergebnissen.

Die Buchmaler verwendeten sehr unterschiedliche Farbmittel: mineralische und künstliche Pigmente ebenso wie organische Farbstoffe und Farblacke. Diese Vielfalt erfordert den Einsatz mehrerer Untersuchungsmethoden, die sich ergänzen. Uns stehen am CICS (Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften, FH Köln) verschiedene Geräte zur Verfügung, mit denen man Farbmittel in situ analysieren kann, also ohne Probenahme direkt in der Handschrift.

Mittelalterliche Malschichten unter dem Videomikroskop: Der komplizierte dreidimensionale Aufbau einer Malerei in sieben verschiedenen dünnen Schichten macht die Erforschung der Maltechnik zwar möglich, aber nicht einfach. Byzantinische Handschrift, HAAB Weimar 741, f1r.  
Videomikroskop, Byzantinische Handschrift, HAAB Weimar 741 © CICS, Köln
Mittelalterliche Malschichten unter dem Videomikroskop: Der komplizierte dreidimensionale Aufbau einer Malerei in sieben verschiedenen dünnen Schichten macht die Erforschung der Maltechnik zwar möglich, aber nicht einfach. Byzantinische Handschrift, HAAB Weimar 741, f1r.

Mit einem Vis-Spektrometer wird die Reflektion des sichtbaren Lichtes gemessen. Damit können sowohl organische als auch anorganische Farbmittel untersucht werden. Zum Beispiel weisen die Rotpigmente Mennige und Zinnober sehr unterschiedliche Vis-Spektren auf. Auch die Spektren der roten Farblacke aus Krapp oder Schildläusen unterscheiden sich deutlich. Von welcher Art die Schildlauslacke stammen (Kermes, Armenische Cochenille, Lac Dye), kann aber mit dieser Methode nicht bestimmt werden. Auch für Weißpigmente oder Kupfergrünpigmente ist sie nicht geeignet.

Die anorganischen Pigmente sind zumeist kristallin und können daher mit dem Röntgendiffraktometer analysiert werden. Das Gerät ist allerdings nicht portabel, die Handschriften können also nur in Köln untersucht werden. Dagegen ist das Röntgenfluoreszenzgerät ebenso wie das Vis-Spektrometer tragbar. Im Gegensatz zum Diffraktometer kann mit der Röntgenfluoreszenz nicht die kristalline Verbindung analysiert werden, sondern die Elementzusammensetzung. Auch daraus lassen sich Informationen über Farbmittel gewinnen, zudem auch über die Reinheit von Metallen.

MO: Was war das älteste Kunstwerk, das Sie bislang untersucht haben?

Dr. Doris Oltrogge: Ich forsche vor allem über Buchmalerei, und die älteste Handschrift, die ich untersucht habe, war die Quedlinburger Itala. Dabei handelt es sich um Fragmente einer lateinischen Bibel, die um 400 n. Chr. vermutlich in Rom geschrieben und mit Miniaturen ausgestattet wurde.

Auch Blattsilber fand Verwendung. Das blaugrüne Farbmittel ist aus dem Mineral „Posnjakit“, einem Kupfersulfat gewonnen. Das Purpur der Bischoffmitra und der Gewänder ist der Farbstoff aus Rocellaflechte, das Gelb Bleizinngelb. Naumburger Chorbuch von 1504, Naumburger Dom Hs.III-f.33r.  
Naumburg Dom, Handschrift Naumburger Chorbuch von 1504 © CICS, Köln
Auch Blattsilber fand Verwendung. Das blaugrüne Farbmittel ist aus dem Mineral „Posnjakit“, einem Kupfersulfat gewonnen. Das Purpur der Bischoffmitra und der Gewänder ist der Farbstoff aus Rocellaflechte, das Gelb Bleizinngelb. Naumburger Chorbuch von 1504, Naumburger Dom Hs.III-f.33r.

MO: Welches waren die am häufigsten gebrauchten Pigmente im Mittelalter?

Dr. Doris Oltrogge: Die Verwendung von Farbmitteln ist abhängig von der Verfügbarkeit, dem Preis und natürlich auch von künstlerischen Präferenzen. Das Mittelalter umfasst eine sehr lange Zeitspanne. Nicht alle Pigmente waren in diesem ganzen Zeitraum verfügbar, manche sind überhaupt erst im Mittelalter erfunden worden. Entsprechend gibt es deutliche Unterschiede bei der Pigmentverwendung etwa zwischen der karolingischen Zeit und der Spätgotik. Hinzu kommen regionale Differenzen, zum Beispiel zwischen Italien und Deutschland.

Zu den im gesamten Mittelalter gut verfügbaren und häufig verwendeten Farbmitteln gehören Bleiweiß, das rote Bleipigment Mennige, künstlich hergestellte Kupfergrünpigmente, also der sogenannte Grünspan und die verschiedenen gelben, roten oder braunen Ocker. Dagegen wird das Rotpigment Zinnober vor dem 12. Jahrhundert nur wenig gebraucht, in der Gotik aber gehört es zu den ganz wichtigen und oft verwendeten Farbmitteln. Das hängt möglicherweise auch mit einer besseren Verfügbarkeit zusammen: Zinnober ist ein Quecksilbererz, das bis heute wichtigste Abbaugebiet ist Almadén in Zentralspanien. Im Mittelalter wurden weitere Lagerstätten gefunden und ausgebeutet, zum Beispiel im 15. Jahrhundert in Idria (Slowenien) oder auch in der Pfalz. Man kann Zinnober aber auch künstlich aus Quecksilber und Schwefel erzeugen. Dieses Verfahren wird spätestens seit dem 8. Jahrhundert in vielen Rezepten beschrieben; bisher wissen wir aber noch nicht, wann man begann, künstlichen Zinnober in größerem Maßstab herzustellen. Es muss spätestens um 1294 der Fall gewesen sein, denn in dem Jahr verlagerte der Rat der Stadt Venedig die Produktion wegen der Brandgefahr auf Inseln in der Lagune.

Das Rankenwerk wurde mit purpurnem Flechtenfarbstoff, grünem Posnjakit und mit Aurum musicum gestaltet. Naumburger Chorbuch von 1504, Naumburger Dom HsIII f.177r.  
Naumburg, Dom, Naumburger Chorbuch von 1504 © CICS, Köln
Das Rankenwerk wurde mit purpurnem Flechtenfarbstoff, grünem Posnjakit und mit Aurum musicum gestaltet. Naumburger Chorbuch von 1504, Naumburger Dom HsIII f.177r.

Venedig gehörte zusammen mit den Niederlanden auch zu den Zentren für die Herstellung von Bleizinngelb. Dieses Pigment ist eine mittelalterliche Erfindung, eine Weiterentwicklung aus der Glastechnologie. Der älteste Typ ist eigentlich ein gelbes Glas, das seit dem 13. Jahrhundert in Europa verwendet wurde. Und in der Spätgotik war Bleizinngelb das beliebteste Gelbpigment der Malerei; es war gut verfügbar, relativ preiswert und vor allem strahlend gelb. Für die Ölmalerei kam als weiterer Vorteil hinzu, dass es ein gutes Sikkativ ist, also die Trocknung der Ölfarben beschleunigt.

MO: Welche Bedeutung hat in Ihrem Bereich die Zusammenarbeit zwischen Historikern/Kunsthistorikern und Naturwissenschaftlern?

Dr. Doris Oltrogge: Die unmittelbare interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Kunsthistorikern/Historikern und Naturwissenschaftlern ist geradezu essenziell für die kunsttechnologische Forschung. Rein chemisch arbeitende Labore haben meist gar nicht die Kenntnis von der historischen Farbherstellung, deren Produkte ja nicht die Reinheit moderner Chemikalien haben. Andererseits müssen Kunsthistoriker Verständnis für die Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlicher Methoden entwickeln, um die richtigen Fragen zu stellen und die Analyseergebnisse auch richtig einzuordnen.

MO: Welchen Stellenwert haben kunsttechnologische Quellentexte für Ihre Forschung? Inwieweit greifen Sie im Rahmen von Restaurierungsmaßnahmen auf überlieferte Rezepte zurück?

Dr. Doris Oltrogge: Kunsttechnologische Quellentexte sind eine wichtige Basis für das Verständnis von historischen Verfahren. Die Analyse eines Pigmentes ergibt ja zunächst einmal nur eine chemische Formel oder einen Mineralnamen. Wie man im Mittelalter zu dem Produkt kam, ist daraus nicht zu erschließen. Dazu brauchen wir die zeitgenössischen Rezepte. Der experimentelle Nachvollzug dieser Rezepte liefert Informationen über mögliche Zwischen- und Nebenprodukte; er hilft auch, die Produktionsprozesse überhaupt zu verstehen. Manchmal ergeben sich chemische Verbindungen, die gar nicht in den modernen Datenbanken erfasst sind, da sie für die moderne Chemie uninteressant sind. In der Restaurierung spielen Rezepte vor allem für die Herstellung von Prüfkörpern eine Rolle, an denen Schadensmechanismen erforscht und Restaurierungsmethoden getestet werden.

Nicht selten finden sich in den Miniaturen Vergoldungen mit Blattgold. Der Mantel des Micheas aus Auripigment ist mit Zinnober modelliert, der blaue Rahmen ist aus Lapislazuli und das Grün aus künstlich hergestelltem Kupferchlorid. Merseburger-Vulgata Vol. 2.  
Merseburger-Vulgata Vol. 2 © CICS, Köln
Nicht selten finden sich in den Miniaturen Vergoldungen mit Blattgold. Der Mantel des Micheas aus Auripigment ist mit Zinnober modelliert, der blaue Rahmen ist aus Lapislazuli und das Grün aus künstlich hergestelltem Kupferchlorid. Merseburger-Vulgata Vol. 2.

MO: Welche Bedeutung hatte die Alchemie für die Maler des Mittelalters und der Frühen Neuzeit? Haben sich Alchemisten und Künstler mit ihrem Wissen auch gegenseitig befruchtet?

Dr. Doris Oltrogge: Die Farbherstellung wurde zwar in der Regel von spezialisierten Handwerkern betrieben, doch gab es sicher immer Künstler, die sich auch für diese Technologie interessierten. Und die Erzeugung künstlicher Pigmente weist einige Parallelen zur Alchemie auf. In der praktischen Alchemie spielt zum Beispiel die Fixierung des Quecksilbers durch Schwefel, und damit die Herstellung von Zinnober, eine sehr große Rolle. Vermutlich ist auch die Erfindung des Aurum musicum, ein Goldersatz, aus alchemistischen Experimenten entstanden: Aus Zinn und den alchemistischen Reagentien Quecksilber, Schwefel und Sal ammoniacum ließ sich in der Retorte tatsächlich ein goldfarbenes Zinndisulfid produzieren, das dann schnell zu einem beliebten Pigment wurde.

MO: Viele Rohstoffe zur Farbherstellung waren hochgiftg. War den Künstlern das eigentlich bewusst?

Dr. Doris Oltrogge: Ja, sicher. Es gibt mehrfach Warnungen in den Quellen, zum Beispiel vor dem Arsensulfid Auripigment, das man in einem Lederbeutel reiben soll, um nicht die giftigen Dämpfe einzuatmen.

MO: Gibt es Geheimnisse mittelalterlicher Farbherstellung, die Sie noch gerne lüften würden?

Dr. Doris Oltrogge: Zum Beispiel, wann und wo das Aurum musicum erfunden wurde. Überhaupt ist bisher leider noch sehr wenig über die Herstellungszentren von künstlichen Pigmenten bekannt.

MO: Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Bettina Vaupel

Zur Person: Studium der Kunstgeschichte, Klassischen und Christlichen Archäologie in Göttingen und Bonn. Promotion über die „Illustrationszyklen der Histoire ancienne, 1250–1400“. 1987 bis 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Forschungsstelle für Technik mittelalterlicher Buchmalerei, Göttingen. Seit 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin für Forschung am CICS (Institut für Restaurierungs- und Konservierungwissenschaft, FH Köln) / Restaurierung und Konservierung von Schriftgut, Graphik und Buchmalerei

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