April 2012

Die Dorfkirche in Ahlsdorf ist einsturzgefährdet

Taufengel am seidenen Faden

Familientreffen im brandenburgischen Ahlsdorf: Wie es Tradition ist, gehen die Angehörigen der Familie Zaffky-Hertel auch an diesem warmen Samstagnachmittag des 20. August 2011 auf den Friedhof, um die Gräber zu besuchen. Plötzlich schreckt sie lauter Lärm aus der Unterhaltung. "Es hörte sich an, als ob eine große Ladung Kies abgekippt würde. Aber wir sahen keinen Laster rings um den Kirchhof herum", berichtet Dorit Zaffky. Als sie dem Geräusch nachgehen, entdecken sie, dass aus dem Schlüsselloch der Kirchentür Staub wie eine Rauchwolke nach draußen dringt. Beherzt öffnen sie das Kirchenportal. Vor lauter grauweißem Dunst kann keiner von ihnen bis zum Altar schauen. Schnell wird Pfarrer Volkmar Homa gerufen, der aus dem nahen Schönewalde herbeieilt.

Blick auf das klaffende Loch über dem Altar. Die hölzerne Konstruktion der Decke und des Dachstuhls muss baldigst restauriert werden, denn es droht weiterer Einsturz. 
© ML Preiss
Blick auf das klaffende Loch über dem Altar. Die hölzerne Konstruktion der Decke und des Dachstuhls muss baldigst restauriert werden, denn es droht weiterer Einsturz.

Mittlerweile hat sich die Staubwolke in der Ende des 14. Jahrhunderts erbauten Feldsteinkirche soweit gelegt, dass die Ursache des Krachs zu sehen ist. In der Decke über dem Altar klafft ein großes, dunkles Loch, und ein Trümmerhaufen aus schweren Balken, gesplittertem Holz und hellem Putz türmt sich vor dem Altartisch auf. Das Podest, auf dem sonst der Pfarrer steht, ist darunter begraben. Schlimme Gedanken kommen den Menschen in den Sinn: Was, wenn der Deckenabsturz während eines Gottesdienstes oder bei einem der Konzerte, die die Musikschüler regelmäßig geben, passiert wäre?

In den folgenden Tagen macht sich Pfarrer Homa mit dem kirchlichen Baupfleger Frank Stiehler vom Kirchenkreis Bad Liebenwerda sowie dem Architekten Onno Folkerts daran, den Deckenbereich sichern zu lassen und die Ursache festzustellen.

Mittlerweile ist der Trümmerberg feinsäuberlich weggeräumt, und wichtige Bruchstücke sind sortiert. Es zeigte sich, dass hölzerne Verzierungen von dem barocken Altaraufsatz mit abgerissen worden waren. Dennoch hatte die wertvolle Kirchenausstattung Glück im Unglück, denn die herabstürzenden Brocken streiften den Altar nur und verfehlten knapp den anmutigen Taufengel, der vor ihm schwebt.

Seit August 2011 ist die Kirche in Ahlsdorf gesperrt. 
© ML Preiss
Seit August 2011 ist die Kirche in Ahlsdorf gesperrt.

Angesichts des feinen weißen Staubs, der sich wie Puder über alles gelegt hat und in jede Ritze gedrungen ist, seufzt Pfarrer Homa: "Von den zehn Kirchen, die ich zu betreuen habe, ist die Kirche in Ahlsdorf die schmuckreichste."

Zu ihrer noch heute einheitlich erhaltenen Ausstattung kam die Kirche 1710 durch die Ministerialenfamilie von Seyffertitz. Vor allem die Brüder Anton Friedrich und Joachim Hennig machten am sächsischen Hof unter August dem Starken Karriere, als dieser 1697 zum König von Polen gekrönt wurde. In ihrem neuen Selbstbewusstsein ließen sie die Patronatskirche umgestalten und prachtvoll ausstatten.

Sie gaben der außen schlicht gehaltenen Saalkirche, deren markantestes Merkmal der 1717 angebaute quadratische Westturm mit der geschweiften Haube und der Laterne ist, das barock verzierte Innere. Der zweigeschossige Schnitzaltar mit den gedrehten Weinlaubsäulen und dem Akanthuswerk fasst mehrere Bildtafeln von 1624 mit Szenen aus dem Leben Christi. Mindestens so bemerkenswert ist die Kanzel von 1710. Sie bildet eine schmucke Einheit mit einem Pfarrstuhl, aus dem der Treppenaufgang zum Kanzelkorb führt. Gerahmt wird das Ensemble von zwei prächtigen Epitaphien der Brüder Seyffertitz. An der Nordwand führt eine Empore entlang, unter der sich nahe dem Altar die Patronatsloge befindet. Im Chorbereich schwebt der Taufengel aus dem späten 18. Jahrhundert und grüßt die Gläubigen mit einem Palmzweig.

2002 wurde die Laterne auf dem Westturm restauriert. Dass unter dem Dach die hölzernen Tragwerkkonstruktionen so angegriffen sind, hat niemand vermutet. 
© ML Preiss
2002 wurde die Laterne auf dem Westturm restauriert. Dass unter dem Dach die hölzernen Tragwerkkonstruktionen so angegriffen sind, hat niemand vermutet.

Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte das im Niederen Fläming gelegene Ahlsdorfer Gut Elise von Görz, der Witwe des Bankiers und Politikers Georg von Siemens. Sie ließ den Kirchenraum 1908 mit Respekt vor der wertvollen Barockausstattung umgestalten. Die zweigeschossige Empore im Westen füllt eine Orgel mit barockem Prospekt und einer Orgeltechnik aus den 1960er Jahren aus. Da in der Kirche auch außerhalb der Gottesdienste viel musiziert wird, hat sich vor knapp zwei Jahren der Förderkreis Barockkirche Ahlsdorf zusammengefunden, der sich engagiert um die Restaurierung der Orgel bemüht. Auch in dem Instrument setzte sich der Putzstaub ab. Obwohl eine Restaurierung der Orgel nun umso dringender ist, hat sich der Förderkreis von diesem Projekt zunächst verabschiedet, denn es gibt Wichtigeres zu tun: die Kirche zu retten.

Die Ursachen für den Deckeneinsturz sind bei dem seit jenem schicksalshaften Augusttag gesperrten Gotteshaus erkannt: Braunfäule in der hölzernen Dach- und Deckenkonstruktion, verursacht durch jahrelange Feuchtigkeit. Als 1710 die Decke eingezogen wurde, erhielt sie ein erstaunlich solides Tragwerk aus Holz, das aus schweren, nebeneinander gestellten Balken gefertigt ist. "Einen ganzen Wald haben sie damals verbaut", konstatiert Volkmar Homa. Dadurch ist es bei Kontrollgängen im Dachstuhl schwierig, in den engen Bereich der Dachgesimse zu schauen, wo die Kons¬truktionen auf dem Mauerwerk aufliegen. Und genau dort hat sich der schädliche Pilz unbemerkt ausgebreitet. Er zersetzt allmählich das Holz so, dass es nicht mehr tragfähig ist und die Fasern zu Pulver zerrieben werden können. Festgestellt hatten die Fachleute dies, als außen am Chor ein Gerüst aufgestellt wurde, um die Bruchstelle zu sichern. Auch an anderen Stellen wurden die Dachziegel abgenommen und das Holz begutachtet.

Der Befall mit Hausschwamm war ein schleichender Prozess. In den 1970er Jahren waren mehrere Wasserschäden an der Decke, verursacht durch das undichte Dach, provisorisch behoben worden. Diese Stellen wurden durch angenagelte Hartfaserplatten geflickt, die Dachbereiche repariert und mit Betondachsteinen neueingedeckt. Die Feuchteflecken sind zwar noch zu sehen, aber der Kirchenraum ist trocken. "Immer mal wieder bröselte Putz von der Decke. Aber im Vergleich zu meinen anderen Kirchengebäuden hätte ich gesagt, die Ahlsdorfer Kirche ist intakt, auch wenn die Spuren ihres Alters zu sehen sind. Jetzt bin ich viel vorsichtiger mit solchen Aussagen", meint Pfarrer Homa traurig.

Blick auf den unter den schweren Holzbalken begrabenen Altartisch. Der barocke Altaraufsatz mit den Renaissencegemälden wurde zum Glück kaum beschädigt. 
© Frank Stiehler
Blick auf den unter den schweren Holzbalken begrabenen Altartisch. Der barocke Altaraufsatz mit den Renaissencegemälden wurde zum Glück kaum beschädigt.

Erfreulich ist, dass sich in den 27 Jahren, in denen Volkmar Homa dort Ehen geschlossen, Kinder getauft und Verstorbene beerdigt hat, ein vertrautes Verhältnis zu den heute 120 Kirchengliedern entwickelt hat. So stellt Renate Hertel, seit vielen Jahren in der Kirche aktiv, einen privaten Raum für die monatlichen Gottesdienste zur Verfügung, wenn der Saal im ehemaligen Pfarrhaus belegt ist. Und in der Festscheune des Gutshauses, um dessen Erhaltung sich seit Jahren Nachfahren der Familie von Siemens bemühen, finden Benefizkonzerte der Musikschulen zugunsten des Ahlsdorfer Gotteshauses statt. Bis heute wurde die gewachsene Dorfstruktur bewahrt, und seitdem das Gebäude gesperrt ist, besinnen sich viele Dorfbewohner erst recht auf ihren gemeinschaftlichen Mittelpunkt - auf ihre Kirche.

Christiane Rossner

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