Wohnhäuser und Siedlungen Kurioses Interieur Ikonographie April 2012

Im Zaisertshofener Pfarrhaus sind Szenen aus dem Alten Testament zu sehen

Tödliches Gastmahl

Einmal in die Vergangenheit reisen und Mäuschen im Tafelzimmer von Pfarrer Johann Maria Gelb spielen! Die Tischgespräche im späten 18. Jahrhundert dort im Unterallgäu werden es in sich gehabt haben. Der kunstliebende Geistliche hatte bis 1773 sein Esszimmer derart bildgewaltig ausstatten lassen, dass es wohl auch während eines mehrgängigen Menüs nicht zu Gesprächspausen kam. Es genügte ein hilfesuchender Blick des Gastes zur Decke oder ein Umherschweifen der Augen im Raum, und schon bot sich das nächste Thema an.

Die Tafelszene zeigt die Söhne Davids. Aus dem Hinterhalt wird Amnon mit dem Dolch niedergestochen. 
© ML Preiss
Die Tafelszene zeigt die Söhne Davids. Aus dem Hinterhalt wird Amnon mit dem Dolch niedergestochen.

Dazu mussten die Besucher noch nicht einmal sehr bibelfest sein. Der Tanz der Salome beim Gastmahl des Herodes war damals so bekannt wie für uns heute ein Seerosen-Bild des Impressionisten Claude Monet. Johann Baptist Enderle aus Söflingen bei Ulm hatte die schwerelos anmutende Deckenmalerei im Jahr 1770 vollendet. Das Deckengemälde des damals in Süddeutschland berühmten Künstlers ist das größte im Tafelzimmer. Gäbe es nicht über der Haupttür die an ein Emblem erinnernde Inschrift "Extrema gaudii luctus occupat" (Leid ist aller Freude Ende), wäre man versucht, nur das Schwelgerische, Farbenfrohe wahrzunehmen. Die bezaubernde Salome durfte sich aufgrund ihres gelungenen Auftritts etwas wünschen. Sie verlangte den Tod von Johannes dem Täufer, einem Feind und Widersacher ihrer Mutter. Ein Scharfrichter brachte kurze Zeit später das abgeschlagene Haupt des gefangengenommenen Johannes auf einer Schale herbei. Dies ist eines der beliebtesten Motive in der Malerei des Barock. Bei Enderle aber tritt die schauderhafte Szene zugunsten der Tanzdarstellung in den Hintergrund - der Scharfrichter naht von rechts herbei, sichtbar erst auf den zweiten Blick. Pfarrer Gelb mochte seinen Gästen wohl nicht den Appetit verderben und betonte den anmutigen Teil der neutestamentlichen Geschichte aus Markus 6, 17-29.

Das zentrale Motiv des Tafelzimmers über dem Esstisch mit der vor Herodes tanzenden Salome 
© ML Preiss
Das zentrale Motiv des Tafelzimmers über dem Esstisch mit der vor Herodes tanzenden Salome

Einmal auf der richtigen Spur, erschließen sich die übrigen Bildthemen. Es scheint, als habe Johann Maria Gelb fünf biblische Szenen mit Gastmahlen für sein Esszimmer ausfindig gemacht und jedes einzelne - losgelöst aus seinem Zusammenhang - in die Nähe der Genremalerei gerückt. Er gab den Gemälden kurzerhand ein neues übergreifendes Motto, das auf die Vergänglichkeit alles Irdischen zielt.

Zur Rechten des Eingangs tafeln die Söhne des Königs David (2. Samuel 12, 22-13, 37). Abschalom, einer seiner jüngeren Nachfahren, rächt sich bei diesem zweiten Gastmahl an seinem Halbbruder Amnon, denn der hatte Abschaloms Halbschwester Tamar vergewaltigt. Aus dem Hinterhalt haben sich zwei Soldaten genähert; der eine stößt Amnon mit dem Dolch nieder.

Der Blick in das Tafelzimmer des ersten Obergeschosses 
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Der Blick in das Tafelzimmer des ersten Obergeschosses

Weniger brutal geht es gleich daneben zu: Dort zeigt Enderle über der Tür, gerahmt in vergoldeter Rokoko-Ornamentik, das Gastmahl bei Holofernes, dem Oberbefehlshaber der assyrischen Truppen. Er erscheint im apokryphen Buch Judit als General des babylonischen Königs Nebukadnezar II. und belagert die im judäischen Bergland gelegene Stadt Betulia. Dort lernt er die fromme jüdische Witwe Judit kennen, die ihn überlistet und so ihre Stadt rettet: Betört von Judits Schönheit und Klugheit, lädt Holofernes sie in sein Zelt zum Gelage ein. "Holofernes wurde ihretwegen immer fröhlicher und trank so viel Wein, wie er noch nie zuvor in seinem Leben an einem einzigen Tag getrunken hatte", ist in Judit 12, 20 zu lesen. Als er bewusstlos niedersinkt, gelingt es Judit, Holofernes zu enthaupten. Mit dem abgeschlagenen Kopf kehrt sie nach Betulia zurück. Auch dies ist ein Bildthema, das nahezu alle großen Künstler, darunter Donatello, Michelangelo und Caravaggio, dramatisch in Szene setzten. Enderle hingegen malte die eher harmlose Passage der Geschichte. Auf die tödliche Wendung im Verlauf des Abends verweist allein Holofernes. Er hat bereits seine Haltung verloren, wirkt betrunken und geschwächt. Das Fresko über der Tür gegenüber zeigt das letzte Gastmahl des Belsazar, des Königs der Chaldäer. In Weinlaune lässt er die goldenen und silbernen Gefäße seines Vaters Nebukadnezar II. holen, die dieser aus dem Tempel in Jerusalem erbeutet hatte. Seine Frauen und Nebenfrauen trinken daraus und loben die Götter aus Gold und Silber (Daniel 5, 4). Diese Lästerung bezahlt Belsazar noch in derselben Nacht mit dem Tod, vage angedeutet durch die mit wolkenumhüllter Geisterhand geschriebenen Worte an der Wand im Hintergrund des Bildes. Mit ihnen wird Belsazars Ende vorhergesagt. Viel düsterer und bedrohlicher verarbeitete Rembrandt um 1635 diesen dankbaren alttestamentlichen Stoff, den auch Georg Friedrich Händel in einem Oratorium sowie Gioachino Rossini in einer Oper aufgriffen.

Eine Antwort auf das Schlemmen bei den Gastmahlen ringsum: Ein Mann leert Bienenkörbe. 
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Eine Antwort auf das Schlemmen bei den Gastmahlen ringsum: Ein Mann leert Bienenkörbe.

Die fünfte Variante des tödlichen Gastmahls mag die Gäste von Pfarrer Gelb in Zaisertshofen ebenfalls zum Nachdenken angeregt haben: Im Nordwesten des Tafelzimmers ist das Trinkgelage der Königin Ester, einer jüdischen Waise in der persischen Diaspora, mit König Artaxerxes und dessen höchstem Regierungsbeamten Haman dargestellt. Haman, der das jüdische Volk in Persien vernichten lassen will, wird auf Esters Wunsch hin erhängt. Und zwar genau an dem Galgen, den Haman selbst für Esters Vetter Mordechai vorgesehen hatte (Ester 7,1-10), weil dieser ihm nicht unterwürfig genug begegnet war. Während sich der Galgen auf dem Fresko von Enderle nur schemenhaft als schwache Drohung abzeichnet, steht die Szene am Tisch mit den drei Hauptfiguren erneut im Mittelpunkt.

Pfarrer Gelb ließ seine Gäste mit diesen blutrünstigen Geschichten - luftig-leicht verpackt in schwungvoller Pastellmalerei - nicht allein. Er wäre kein Prediger und kein Mann seiner Zeit gewesen, wenn er nicht auch das Gegenteil zur Maßlosigkeit geliefert hätte. Ganz klein, in den vier Ecken der Decke, malte Enderle für ihn Kartuschen in violetter Tonfarbe aus, jede mit der Inschrift: "sic vos, non vobis" (so seid ihr, nichts gehört euch). Nur wer sich direkt unter die Bilder stellte, konnte den pflügenden Bauern mit Ochsen, ein geschorenes Schaf, Vögel, die ihre Jungen füttern, und einen ausgenommenen Bienenstock erkennen. Diese tugendhaften Tätigkeiten sind die Antwort auf das Schlemmen ringsum. Allerdings fragt man sich, ob die dezenten Mahnungen angesichts des überaus prächtigen Gesamtbildes nicht in den Hintergrund traten und vielleicht nur als Alibi für den kunstsinnigen Pfarrer dienten. Schließlich handelte es sich hier nicht um einen weltlichen Fürstensitz, und er war in der Pflicht, eine Moral zu verkünden.

©  ML Preiss
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Das Pfarrhaus in Zaisertshofen-Tussenhausen unmittelbar neben der katholischen Kirche.
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Das in lateinischer Sprache geschriebene Motto des Tafelzimmers im Pfarrhaus lautet frei übersetzt: "Leid ist aller Freude Ende".
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Kartusche im Tafelzimmer mit Ochsen am Pflug, zurückgehend auf eine Vergil-Legende
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Kartusche im Tafelzimmer mit der Schafscherung
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Kartusche im Tafelzimmer mit Vogeldarstellungen. Die Vögel füttern ihre Jungen.
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Im Detail erkennt man auch am Außenbau des Zaisertshofener Pfarrhauses die Handwerkskunst.
 
 
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Das Pfarrhaus in Zaisertshofen-Tussenhausen unmittelbar neben der katholischen Kirche.
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Das in lateinischer Sprache geschriebene Motto des Tafelzimmers im Pfarrhaus lautet frei übersetzt: "Leid ist aller Freude Ende".
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Kartusche im Tafelzimmer mit Ochsen am Pflug, zurückgehend auf eine Vergil-Legende
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Kartusche im Tafelzimmer mit der Schafscherung
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Kartusche im Tafelzimmer mit Vogeldarstellungen. Die Vögel füttern ihre Jungen.
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Im Detail erkennt man auch am Außenbau des Zaisertshofener Pfarrhauses die Handwerkskunst.
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Auch an sich selbst dachte Pfarrer Gelb und beanspruchte einen Platz im Bildprogramm. Ganz in christlicher Tradition sah er sich als guten Hirten, verewigt in grüner Tonmalerei über dem mittleren Fenster. Begleitet von Schafen, rastet er vor seiner Kirche. Um ihn herum sprudelt munter ein sogenannter Gnadenfluss. Johann Maria Gelb verspricht denen ein versöhnliches Ende, die sich der Kirche zuwenden. Man kann dem Pfarrer nicht vorwerfen, kirchliche Gelder verschwendet zu haben. 5.393 Gulden kostete der Pfarrhof, aber er zahlte sowohl die Fresken als auch die Stuckaturen und die Vergoldung im Tafelzimmer und im Stiegenhaus aus eigener Tasche. Schon 1759 hatte er die benachbarte Kirche, in der er 33 Jahre predigte, aus seinem privaten Erbe neu ausschmücken lassen.

Der Pfarrer selbst in der Kartusche als guter Hirte, begleitet von Schafen 
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Der Pfarrer selbst in der Kartusche als guter Hirte, begleitet von Schafen

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz beteiligt sich zurzeit an der Fassadenrestaurierung des Pfarrhofs. Schon in den 1970er Jahren wurden die Fresken gereinigt, Risse geschlossen, wurde der Stuck in der Erstfassung freigelegt und die Malschicht konserviert. So kann die Gemeinde in Zaisertshofen mit ihrem heutigen Pfarrer Richard Dick ein wunderschönes Haus als Treffpunkt für Vereine, Mutter-Kind-Gruppen, für Adventsbasare und kulturelle Veranstaltungen nutzen. Noch jetzt sind die Zaisertshofener ihrem baufreudigen Pfarrer dankbar. Er starb dort 1786 und hat sich bestimmt niemals ausgemalt, wieviele Generationen nach ihm noch Freude an seiner Hinterlassenschaft haben könnten.

Christiane Schillig

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