Städte und Ensembles

Weshalb Samson erst einen Baum ausriss

Das Einhorn und die Unschuld

Die geflügelten Darstellungen von Engel, Ochse, Löwe und Adler gelten von jeher als Symbole der vier Evangelisten, werden ihnen aber erst seit dem 4. Jahrhundert zugeordnet. Ihre Wurzeln haben die vier Tiere in den Visionen des Propheten Hesekiel, wie er sie in den Versen 4 - 10 des 1. Kapitels beschreibt.

Evangelistensymbole auf einem frühmittelalterlichen Elfenbeinrelief im Bayerischen Nationalmuseum München 
© G. Kiesow
Evangelistensymbole auf einem frühmittelalterlichen Elfenbeinrelief im Bayerischen Nationalmuseum München

Vor ihrer Zuordnung zu den vier Evangelisten, gelegentlich aber auch weiterhin, waren sie Symbole für Christus, dem sie - noch ohne Flügel - auf einem frühmittelalterlichen Elfenbein-Relief im Bayerischen Nationalmuseum München zugeordnet sind. Dabei ist im linken oberen Kreis ein Mensch gemeint, Symbol für die Menschwerdung Christi.


Erst durch die Ausstattung aller vier Symbole mit Flügeln, wie beim Tympanon des Nordportals von St. Miguel in Estella aus dem 12. Jahrhundert (rechte Kopfgrafik), wurde daraus ein Engel. Doch Hesekiel sagt in Vers 10 ausdrücklich: "Ihre Angesichter waren vorn gleich einem Menschen, und zur rechten Seite gleich einem Löwen ... und zur linken Seite gleich einem Ochsen ... und hinten gleich einem Adler."

Die Typologie des Mittelalters suchte für die Ereignisse des Neuen Testaments die prophetischen Ansätze im Alten Testament, so wie Lukas Christus in Vers 44 seines Kapitels 24 zitiert: "denn es muss alles erfüllet werden, was von mir geschrieben ist im Gesetz ­Moses, in den Propheten und in den Psalmen". Daraus kann abgeleitet werden, dass der Mensch die Menschwerdung Christi durch seine Geburt verkörpert.

Das gezähmte Einhorn im Schoße Mariens auf einem Teppich in der Kirche St. Gotthardt/Brandenburg. 
St. Gotthardt/Brandenburg © Gottfried Kiesow, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das gezähmte Einhorn im Schoße Mariens auf einem Teppich in der Kirche St. Gotthardt/Brandenburg.

Für die jungfräuliche Geburt stand im Mittelalter das Einhorn, jenes mystische Fabeltier. Von ihm berichtet der Physiologus, eine naturgeschichtlich-religiöse Schrift aus der Zeit zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert nach Christus, es sei so ein wildes Tier, dass es der Jäger nur fangen kann, wenn eine reine Jungfrau in der Nähe ist, in deren Schoß es zahm seinen Kopf legt. Schon der Physiologus bezieht diese Legende auf die jungfräuliche Geburt Christi aus dem Schoß der Maria, und in der mittelalterlichen Malerei ist es auch stets Maria, in deren Schoß das Einhorn seinen Kopf legt. So stellt es der schöne Einhornteppich in der Kirche St. Gotthardt zu Brandenburg dar.

Beliebtes Motiv in protestantischen Kirchen: der Pelikan, der sich mit dem Schnabel die Brust aufhackt 
© ML Preiss
Beliebtes Motiv in protestantischen Kirchen: der Pelikan, der sich mit dem Schnabel die Brust aufhackt

Der Ochse bedeutet den Opfertod Christi, denn seit Urzeiten war er das beliebteste Opfertier. Der Löwe gilt als Symbol der Auferstehung. Denn nach dem Physiologus soll die Löwin ihre Jungen tot zur Welt bringen und der Löwe sie drei Tage danach durch Anbrüllen zum Leben erwecken. So hat es der spätgotische Bildschnitzer auf der Wange eines Chorgestühls - jetzt im Bayerischen Nationalmuseum München - im oberen Teil der Ranke dargestellt.

Im unteren Teil erscheint ein anderes Christus-Symbol: der Pelikan. Von ihm berichtet die Sage, dass er seine Jungen tötet, wenn sie die Eltern mit ihren Flügeln schlagen. Die Mutter hackt jedoch nach drei Tagen mit ihrem Schnabel ihre Brust auf und erweckt ihre Jungen mit ihrem eigenen Blut zu neuem Leben. Schon der Physiologus sah darin ein Symbol für Christus, der durch seinen Kreuzestod die Menschheit zum ewigen Leben erweckte. Der Adler schließlich ist das Symbol für die Himmelfahrt Christi.

Symbole für Christus gibt es zahlreiche, auch Bemühungen, Gestalten des Alten Testaments als seine Vorläufer darzustellen. Manchmal ist es dabei gar nicht leicht, die inhaltlichen Bezüge zu erkennen, so bei der Darstellung des Samson im Südquerschiff des Domes in Limburg. Stünde da nicht neben der Figur eines langhaarigen Mannes, der einen Baum umfasst, eindeutig die Bezeichnung Samson, hätte man mit der Identifizierung Schwierigkeiten. Denn die im Buch der Richter, Kapitel 13 - 16, überlieferte Geschichte Samsons kennt keine Szene, in der er einen Baum ausreißt.

Darstellung des Samson im Südquerschiff des Limburger Doms 
Limburg, Dom © Gottfried Kiesow, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Darstellung des Samson im Südquerschiff des Limburger Doms

Das legendenreiche Mittelalter hat sich hier eine zusätzliche ausgedacht. Nachdem Delila ihm die Haare abgeschnitten hatte, wodurch er vorübergehend seine besondere Stärke verlor, er somit wehrlos von den Philistern geblendet und ins Gefängnis geworfen werden konnte, wuchsen ihm dort die Haare wieder, wodurch seine Kraft zurückkehrte. Als die Philister bei einem Fest ihren Spaß mit ihm treiben wollten und ihn kommen ließen, riss er die Säulen des Hauses ein. So kamen er und 3.000 seiner Peiniger ums Leben. Nun reißt er hier keine Säulen um, sondern einen Baum aus. Man deutet dies als Erprobung seiner Kräfte nach dem Verlassen des Gefängnisses, um zu prüfen, ob sie zur Ausführung seiner geplanten Rache ausreichten.

Diese Darstellung an der Westwand des südlichen Seitenschiffes im Limburger Dom ist eindeutig bezogen auf die des Gekreuzigten an der gegenüberliegenden Ostwand. Spielt das Leiden des Samson auf die Passion Christi an, oder ist seine Geschichte ein Symbol für die Kraft, die aus dem christlichen Glauben erwächst und den ungläubigen Menschen schnell verlässt? Da schriftliche Quellen hierfür fehlen, sind wir auf Vermutungen angewiesen. Vielleicht können uns hier die Theologen unter unseren Lesern weiterhelfen?


Prof. Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow †

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1 Kommentare

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    Hans-Georg Klein schrieb am 21.03.2016 15:09 Uhr

    Deutungsvorschlag: So wie der geblendete, kraftlose Samson seine noch verborgene Stärke am lebendigen Holz des Baumes zeigt um darauf die (Holz-)Säulen, das Haus der Götzendiener zu zerstören, so hängt Christus scheinbar kraftlos am toten Holz des Kreuzes. Dieses wird durch ihn zum lebendigen Baum des Lebens und er zerstört durch seine Auferstehung die Torpfosten/Säulen der Unterwelt.

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