Wohnhäuser und Siedlungen

Das Lübecker Dielenhaus und seine einzigartige Windenanlage

Feiern mit Geschichte

Fleischhauerstraße - dieser Name klingt nicht gerade einladend. Doch zu unserer Überraschung ist die Nebenstraße der attraktiven Lübecker Königstraße eine lebendige Wohn- und Geschäftsstraße, in der sich in kleinen Läden gut stöbern lässt. Sie ist aber auch eine Straße mit reicher Geschichte. Und sie gehört zum ältesten Teil der Welterbe-Stadt, denn an ihrem östlichen Ende stand einst das ab 1177 errichtete erste Kloster Lübecks. Vor allem Handwerker lebten hier. Um 1750 waren darunter 39 Knochenhauer, wie damals Fleischer oder Metzger genannt wurden, in 17 Gebäuden befanden sich Brauhäuser.

Nach der Restaurierung des Windenrads wird jetzt die Luke in der Dielendecke (über dem vordersten oberen Fenster zu erkennen) geöffnet und der gesamte Schacht gesichert.  
Lübeck, Dielenhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Nach der Restaurierung des Windenrads wird jetzt die Luke in der Dielendecke (über dem vordersten oberen Fenster zu erkennen) geöffnet und der gesamte Schacht gesichert.

Wir sind auf dem Weg zum Haus Nummer 79, einem der Knochenhauerhäuser. Drei besonders stattliche Giebelhäuser fallen uns sofort auf. Und siehe da: Die Tür des Hauses Nr. 79 ist einladend geöffnet. Neugierig treten wir ein. Der Architekt Jörg Haufe und Ulrich Büning, der sein Büro in der Dornse, der ehemaligen "Guten Stube" des Hauses, gleich neben dem Eingang hat, laden uns zur Besichtigung ein. Das Gebäude haben Büning und Haufe zusammen mit Nicola Petereit - ebenfalls Architektin - 2006 gekauft und damit wohl auch gerettet. Denn nach zehnjährigem Leerstand war es völlig verwahrlost, Wind, Regen und der Bewuchs durch Efeu und Ahorn drohten das wertvolle Anwesen zu vernichten.

Dabei ist dieses Dielenhaus eines der wenigen Bürgerhäuser in der Stadt, deren Struktur und Baugeschichte noch deutlich ablesbar sind. In den Dokumenten des Stadtarchivs wird bereits 1293 ein Hinrich Hetfeld als Eigentümer erwähnt, im 14. Jahrhundert dann mehrere Schuster. Seit 1420 lebten und arbeiteten hier Knochenhauer. Der letzte Schlachtermeister ist Ende des 19. Jahrhunderts im Lübecker Adressbuch eingetragen. Große Haken in der Kellerdecke zeugen noch von seinem Handwerk. Das Haus selbst stammt aus dem 13. Jahrhundert, die heute sichtbare Bausubstanz ist überwiegend im 15. und 16. Jahrhundert entstanden. Bei Untersuchungen der Brandmauern - in Lübeck meist die ältesten Teile der Häuser, da sich benachbarte Gebäude stets eine Brandmauer teilen - unterstützte die von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz treuhänderisch verwaltete Horst v. Bassewitz-Stiftung zur Bauforschung die Eigentümer 2009 mit 1.000 Euro.

Demnächst kann der historische Aufzug wieder vorgeführt werden.  
Lübeck, Dielenhaus © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Demnächst kann der historische Aufzug wieder vorgeführt werden.

Jörg Haufe zeigt uns stolz, was die Eigentümer in den letzten Jahren geschafft haben. Schließlich können sie nach der gelungenen Sanierung 700 Jahre Lübecker Baugeschichte präsentieren. Und es ist ihnen nicht nur gelungen, das Gebäude mit viel Liebe und Sachverstand denkmalgerecht instand zu setzen, sondern auch, ihm wieder Leben einzuhauchen. In der großen Diele und in einem Saal im Erdgeschoss finden häufig Konzerte, Lesungen, Tagungen oder private Feiern statt, in den oberen Räumen sind Wohnungen entstanden, eine davon wird an Gäste vermietet. Wenn auch anfangs manch einer Zweifel hatte, so ist das Konzept, das die Eigentümer für ihr "Lübecker Dielenhaus" entwickelt haben, voll aufgegangen.

Doch um die Struktur und Funktion des Hauses wieder vollständig erleben zu können, fehlte noch ein wichtiges Detail. Bald wird auch die Windenanlage, mit der die Bewohner einst ihre Waren von der Diele in den Speicher beförderten, wieder sichtbar und funktionsfähig sein - als einzige öffentlich zugängliche in Lübeck. Dabei unterstützt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz die Eigentümer zur Zeit mit 15.000 Euro. Die Restaurierung des historischen Windenrades konnte bereits abgeschlossen werden. Jetzt werden auch der Schacht von der Diele bis zum Speicher und die Luken wieder vollständig hergestellt.

Etwas verwundert sind wir, dass sich Aufzug und Windenrad im Inneren des Hauses befinden. Aus vielen anderen Städten kennen wir die von außen sichtbaren Anlagen an den Giebeln. Jörg Haufe hat dazu eine ganz eigene Theorie: Die Lübecker seien sehr viel bescheidener gewesen als etwa die Hamburger und hätten nicht mit ihrem Reichtum geprotzt. Aber vielleicht wollten sie ihre Waren auch einfach nur im Trockenen haben - oder vor den neidischen Blicken der Nachbarn verbergen?

Dorothee Reimann

Kontakt: Tel. 0451/7 57 61 (Ulrich Büning)oder 0451/16 00 70 (Haufe Petereit Architekten)

Weitere Infos im WWW:

www.dielenhaus.de

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