April 2011

Helfen Sie, mittelalterliche Malereien in Stralsund zu retten!

Vom Unheil des Salzes

Gerne hätten wir Ihnen an dieser Stelle eine Geschichte über Schätze hinter Klostermauern erzählt, hätten Ihnen von Bibeln mit feinen Miniaturen vorgeschwärmt, von schöngeistiger französischer Literatur des 17. Jahrhunderts oder von Urkunden und Siegeln aus dem Jahr 1316. All diese Kostbarkeiten birgt das ehemalige Franziskanerkloster St. Johannis in Stralsund, eines der ältesten Bauwerke in Norddeutschland. Voller Überraschungen ist auch das Kloster St. Katharinen ganz in der Nähe. Wir möchten die Tore dieser Klöster für Sie öffnen und Sie in die Kreuzgänge, Dormitorien und Remter hineinblicken lassen.

Das ehemalige Kloster St. Johannis ist eingerüstet, weil das Dach neu gedeckt wird. 
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Das ehemalige Kloster St. Johannis ist eingerüstet, weil das Dach neu gedeckt wird.

Aber angesichts der gefährdeten Malereien ist dies kein fröhlicher Rundgang, sondern ein Hilferuf. Wir bitten Sie, sich an der Rettung der Fresken in beiden Klöstern zu beteiligen, damit so schnell wie möglich mit der Restaurierung begonnen werden kann.

Es ist kaum zu glauben, wie schlimm es um die Klöster St. Johannis und St. Katharinen in Stralsund bestellt ist. Dabei gehören sie zum Kulturerbe der Menschheit und stehen seit 2002 mit der Stralsunder Altstadt unter besonderem Schutz. Glücklicherweise gibt es nun Geld für die Sanierung der Dächer. Durch die Mittel des Bundes aus dem Welterbeprogramm können die großen Löcher gestopft werden, aber im Stillen, im Inneren, drohen die Farben der Malereien zu vergehen.

Vom Steinfraß gezeichnet: die Gewölberippen in St. Johannis 
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Vom Steinfraß gezeichnet: die Gewölberippen in St. Johannis

Große Gefahr heißt Salz. Zunächst beginnt der Verfall schleichend. Irgendwann steigt die Feuchtigkeit dramatisch schnell in der Wand hoch. Ingenieur Sven Kleinert schlägt Alarm. Er untersucht das Raumklima und die Migration der Salze in St. Johannis seit vier Jahren, installierte Messsonden und notiert die Klimaschwankungen.

In St. Johannis, das seit 1963 das Stralsunder Stadtarchiv beherbergt, geht es insbesondere um die überaus wertvollen Wandmalereien des Kapitelsaals. Unter bis zu 30 Schichten wurden 1983 spätgotische Motive freigelegt - in der Schildbogenwand eine Kreuzigungsszene und die Stigmatisation des Franz von Assisi. Der Kapitelsaal, einst Versammlungsraum der Franziskaner, hat den Charakter seiner ursprünglichen Nutzung gewahrt. Hier finden wissenschaftliche Veranstaltungen, Vortragsabende und Empfänge statt. Mit seiner wunderbaren Akustik ist er als Konzertsaal sehr geeignet. Schweren Herzens wird er im Moment genutzt, weil jede Veränderung des Raumklimas den ohnehin angegriffenen Fresken weiteren Schaden zufügt. Das Salz steigt nicht nur von unten auf, sondern kommt mit der Feuchtigkeit auch von den Gewölben. Die Farben werden Jahr für Jahr blasser.

Im Kapitelsaal wären dringend Rollos gegen die Lichteinstrahlung nötig, so die Archivdirektorin Dr. Regina Nehmzow. Es ist nur ein kleiner Schritt neben vielen anderen dringenden Maßnahmen. Nehmzow und Kleinert haben bereits Vorschläge für "ihr Kloster": Zunächst werden flächendeckend Messstellen eingerichtet. Eine Sockelheizung verhindert das Aufsteigen weiterer Feuchtigkeit und sorgt nach der Sanierung für ein konstantes Raumklima. Denn es ist wichtig, verbliebene und hinzukommende Salze, die ausblühen, kristallisieren und die Malerei zerstören, gelöst zu halten.

Das Entsalzen der Fresken selbst könnte durch das sogenannte Vakuum-Kreislauf-Festigungsverfahren geschehen, das der Restaurator Erich Pummer entwickelte. Er ist der Gewinner des Innovationspreises der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD), der im Rahmen der Remmers-Preis-Verleihung 2010 in Leipzig vergeben wurde. Wo dem Mauerwerk Salz bislang mit Kompressen entzogen wird, würde dann mit Vakuum Unterdruck erzeugt. Dabei - und das ist neu - können betroffene Flächen an Ort und Stelle luftdicht abgeschlossen werden. Auf diese Weise lassen sich Backsteine "durchspülen" und vom Salz befreien, ohne dass dabei die wertvolle Malschicht an der Oberfläche verletzt wird.

Noch immer ausdrucksstark ist das, was von ihr übrigblieb: die nach 1400 entstandene Darstellung der Stigmatisation des Franz von Assisi im Kapitelsaal von St. Johannis. 
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Noch immer ausdrucksstark ist das, was von ihr übrigblieb: die nach 1400 entstandene Darstellung der Stigmatisation des Franz von Assisi im Kapitelsaal von St. Johannis.

Professor Dr. Gottfried Kiesow, der den von der Ingeborg und Gottfried Kiesow-Stiftung ausgelobten Preis ins Leben rief, verspricht sich viel von dieser schonenden Vorgehensweise und initiierte einen wissenschaftlichen Beirat, um die Forschung voranzutreiben.

Denn Salz ist nicht nur in St. Johannis und St. Katharinen ein Problem, sondern an der gesamten Nord- und Ostseeküste und sogar im Hinterland. Würden vorbildliche Methoden gefunden, der Versalzung Einhalt zu gebieten, wäre dies ein Meilenstein in der Geschichte der Restaurierung.

Es kommt aber auch darauf an, schnell zu handeln, denn im Kreuzgang des 1254 gegründeten Klosters St. Johannis blüht das Salz schon aus. Grüne Algen haben sich an den Oberflächen gebildet. Zum Vergleich: In der nahegelegenen Stralsunder Kirche St. Marien wurden aus einem Quadratmeter Mauerfläche innerhalb von zweieinhalb Jahren 27 Kilogramm Salz gezogen! Ähnlich Katastrophales vermutet man in St. Johannis.

Museumsmitarbeiter Dr. Burkhard Kunkel und Restauratorin Anne Braun sowie der Direktor des Kulturhistorischen Museums Dr. Andreas Grüger (v. l. n. r.) sind besorgt über den Zustand der Wände von St. Katharinen. 
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Museumsmitarbeiter Dr. Burkhard Kunkel und Restauratorin Anne Braun sowie der Direktor des Kulturhistorischen Museums Dr. Andreas Grüger (v. l. n. r.) sind besorgt über den Zustand der Wände von St. Katharinen.

Betroffen ist auch das ehemalige Dominikanerkloster St. Katharinen, das 1251 begonnen und um 1400 vollendet wurde. Nach der Reformation ging es 1525 in städtischen Besitz über, und der Rat verfügte eine neue Nutzung. Ab 1560 diente der Klausurbereich als Gymnasium und Waisenhaus, die Klosterkirche als Arsenal, Silo, Gemüselager und Pferdestall. Von 1919 bis 1924 nahm man eine umfassende Sanierung in Angriff. Wände und Gewölbe wurden ab 1925 immer wieder nachgekalkt. Schon in den 1920er Jahren fand hier das heutige Kulturhistorische Museum seinen Platz, 1951 das naturkundliche Museum. Spektakulär war der Umbau der Katharinenhalle zum Meeresmuseum mit seiner gewagten Stahlkonstruktion, den Meeresaquarien und dem eindrucksvollen Walskelett gigantischen Ausmaßes im Kirchenschiff.

Bedrohte Wandmalereien gibt es vor allem im Kapitelsaal des Kulturhistorischen Museums. Aus stilisierten Blüten wachsen nach und nach immer "blutleerer" werdende Gestalten heraus, ein Lautenspieler, eine Frau mit Butterfass oder ein Mann, der einen Fisch verschlingt. Gesichtszüge, Fingerknochen und Kopfschmuck verschwimmen hinter vordringenden Kristallen und verflüchtigen sich langsam. Wenn ihr Schöpfer auch eher eine lokale Größe war, schmerzen die Verluste dieser einmalig kuriosen Darstellungen doch enorm.

Schwer beschädigt sind die Gewölbemalereien im Kapitelsaal von St. Katharinen. 
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Schwer beschädigt sind die Gewölbemalereien im Kapitelsaal von St. Katharinen.

Die Fußböden wurden in den 1960er und 1970er Jahren mit Keramikfliesen in Zementestrich versiegelt, ein Problem im gesamten Haus. Die Feuchtigkeit kann über die Fußbodenfläche nicht verdunsten und steigt daher in der Wand hoch. Zum Teil zieht sie sich mit dem Salz bis in die Gewölbe hinein. "In St. Katharinen müssen wir zuallererst die Gasaußenheizungen austauschen, denn sie verursachen ein sehr ungünstiges Raumklima", so der Direktor des Museums, Dr. Andreas Grüger.

Stellenweise rieselt und bröckelt es, den abschalenden Putz abzuklopfen hieße jedoch, unter Umständen auch Malerei zu entfernen, die damit unwiederbringlich verloren wäre. Von Zeit zu Zeit fallen ganze Putzbrocken von selbst auf die Fliesen. Manche Besucher des Museums beklagen sich darüber, dass es feucht und muffig sei und dass die Wände einen Topf Farbe gut vertragen könnten.

Doch mit solch gutgemeinten Anstrichen hat man in der Vergangenheit viel zerstört. Mit Latex zum Beispiel. Für Handschuhe ist das Material vielleicht eine gute Errungenschaft, aber als Tünche für Klostergewölbe? Der Anblick im Kapitelsaal lässt jeden Kunstliebhaber erschauern: Die Farbe blättert und kräuselt sich wie ein blonder Lockenkopf. Während Kalk manchmal sogar konserviert, verbindet sich Latex mit der Malerei. Beide werden beim Versuch, die Latexschicht zu entfernen, womöglich zusammen abgelöst.

Doch wenn die Wahl der Substanzen und Methoden so einfach wäre, hätten die Menschen im Verlauf der Jahrhunderte, in denen sie Häuser und Kirchen bauten, erweiterten und sanierten, keine Fehler begangen. In der Restaurierungsgeschichte spiegeln sich immer auch die Gewohnheiten der jeweiligen Zeit wider.

Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Atemberaubend schön, auch wenn die Malereien bedroht sind, ist der Kapitelsaal von St. Johannis.
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
An diesem gotischen Gewölbe in St. Johannis ist der Steinfraß deutlich zu sehen.
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Teilweise sehr unansehnlich sind die Wände des Kulturhistorischen Museums in St. Katharinen.
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Selbst in der Nähe der Ausstellungs-Vitrinen ist die Feuchtigkeit der Wände von St. Katharinen hoch.
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Wie ausgewaschen sieht der Backstein in St. Katharinen aus. Auch hier ist Salz die Ursache.
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Außenwand in St. Johannis ist so feucht, dass schon Algen blühen.
 
 
Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Atemberaubend schön, auch wenn die Malereien bedroht sind, ist der Kapitelsaal von St. Johannis.
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Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
An diesem gotischen Gewölbe in St. Johannis ist der Steinfraß deutlich zu sehen.
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Teilweise sehr unansehnlich sind die Wände des Kulturhistorischen Museums in St. Katharinen.
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Selbst in der Nähe der Ausstellungs-Vitrinen ist die Feuchtigkeit der Wände von St. Katharinen hoch.
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Stralsund, St. Katharinen © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Wie ausgewaschen sieht der Backstein in St. Katharinen aus. Auch hier ist Salz die Ursache.
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Stralsund, Kloster St. Johannis © Roland Rossner, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Außenwand in St. Johannis ist so feucht, dass schon Algen blühen.
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Um den Schäden in den Klöstern St. Katharinen und St. Johannis auf die Spur zu kommen, sie einzudämmen und möglichst schnell zu beheben, muss nun mit vereinten Kräften geforscht und gearbeitet werden. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz möchte maßgeblich dazu beitragen, dass die von hohem Salzgehalt in ihrer Existenz gefährdeten Schätze des Mittelalters gerettet werden und die Malereien nicht aus dem Gedächtnis der Menschheit verschwinden.

Dann erst können wir uns wieder mit Freude Rundgängen durch das Kulturhistorische Museum widmen oder das Stadtarchiv in St. Johannis besuchen und dort guten Gewissens die Heiligen Schriften aus Ziegenleder und die Atlanten des Barock bestaunen.

Christiane Schillig

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