Oktober 2010

Die Rettung einer Bildtapete in Bleicherode

Römischer Karneval im Waldhaus Japan

Barack Obama schmückte sich mit ihr, auch George W. Bush und Bill Clinton. Als Rahmen für offizielle Verlautbarungen ist die Panoramatapete "Vue de l'Amérique du Nord" sehr fotogen. Die Bilder mit ihr und dem US-Präsidenten gehen dann jedes Mal um die Welt.

Bildtapete 1835 von Jean Julien Deltil entworfen; Corso während des Karnevals in Rom 
Bleicherode, Waldhaus Japan © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Bildtapete 1835 von Jean Julien Deltil entworfen; Corso während des Karnevals in Rom

Schon 49 Jahre hängt der monumentale Zyklus im Weißen Haus. Als Jacqueline Kennedy 1961 mit ihrem Mann dort einzog, dekorierte die First Lady in großem Stil um: Im ovalen Empfangsraum ließ sie eine 1834 entworfene, von Zuber & Cie im Elsass gedruckte historische Tapete anbringen. Sie war aus einem zum Abriss freigegebenen amerikanischen Wohnhaus gerettet worden.


In Bleicherode gibt es im Waldhaus Japan ebenfalls eine Bildtapete der Rixheimer Firma Zuber & Cie aus der gleichen Zeit. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz unterstützt die Restaurierung dieser Papiertapeten, die unter Denkmalpflegern schon zu DDR-Zeiten bekannt war. Bereits 1967 erfolgte die Restaurierung der Tapeten durch Erhard Naumann aus Halle. Sie gehörten zum Inventar des Festsaals im Waldhaus Japan. Für ihre Rettung setzte sich wie für die Alte Kanzlei in Bleicherode unermüdlich auch Professor Dr. Dirk Schmidt ein. Es sind immerhin insgesamt 50 Bahnen erhalten.

Wie nur kommt ein so wertvolles Interieur in eine thüringische Kleinstadt? Noch dazu in einen um 1835 in Fachwerkkonstruktion angefügten Saalbau, eine Erweiterung des Waldhauses, das der Webmeister Friedrich Krumbein seit 1791 als Schankwirtschaft betrieb? Es wird vermutet, dass die zwei Motivreihen "Les Courses des Chevaux" und "L'Arcadie" über einen gewissen Johann Becker erworben wurden. Er handelte ab 1812 mit Tapeten von Zuber & Cie und gründete 1827 eine eigene Manufaktur im nahegelegenen Nordhausen. Anderen Quellen zufolge wurden die Grisaille-Tapeten vom Wirtshausbesitzer Krumbein bei einer Auktion in Leipzig ersteigert.

Die Darstellung orientiert sich an Salomon Gessners Graphiken im Buch "Idyllen". 
Bleicherode, Waldhaus Japan © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Die Darstellung orientiert sich an Salomon Gessners Graphiken im Buch "Idyllen".

Auf welchem Weg die Tapetenbahnen Bleicherode also erreichten, bleibt ungewiss. Als gesichert gilt hingegen, dass die Bildtapete "L'Arcadie" einer der frühesten Drucke dieses Dekors in Deutschland ist. Es gilt als absolute Rarität, dass sich gleich zwei Bildtapeten in einem Saal und dazu noch in einer bürgerlichen Gaststätte befinden.

Der Eigentümerin des Waldhauses, Nadine Frosch, bereiteten die Handdruck-Tapeten allerdings zunächst mehr Kopfschmerzen als Freude, denn mit dem für Veranstaltungen zu mietenden Saalbau macht sie ihr Hauptgeschäft, und der ist zur Zeit nicht nutzbar. Die ursprünglich in feinen Grauabstufungen gehaltenen Grisaillen sind stark verschmutzt, das Papier ist vergilbt und brüchig sowie von zahlreichen Rissen durchzogen. Besonders an der Südwand des Saals blättert die Druckfarbe großflächig ab. Diesem Zustand ist nur durch Abnahme und entsprechende Behandlung der zum Teil direkt auf die Lehmwand geklebten Tapeten beizukommen. Dabei hat man Kontakt mit dem "schwarzen Schimmelrasen" zwischen Tapete und Lehmputz. Es wird einige Zeit dauern, ehe die Restauratorin Andrea Strietzel und die Wirtin Nadine Frosch aus dem angestaubten grau-braunen Saal einen repräsentativen Ort gemacht und damit den sonst dem Verfall preisgegebenen Tapeten die Lebensdauer verlängert haben werden.

Doch der Aufwand lohnt sich. Auch jetzt in dem desolaten Zustand kann man sich an den einzelnen Motiven freuen. Auf der vollständig erhaltenen Bildtapete "L'Arcadie" gibt es Hirten-, Schäfer- und Landschaftsszenen, die von den Graphiken im Buch "Idyllen" des Schweizer Dichters Salomon Gessner aus dem späten 18. Jahrhundert inspiriert wurden; auf der Bildtapete "Les Courses des Chevaux" viel Bewegtes und Bewegendes: drei Pferderennen, eines während des Karnevals in Italien, ein Galopprennen in England und ein sogenanntes Steeplechase in Frankreich, bei dem sich die Reiter an markanten Ortspunkten, den "steeples" (Kirchtürmen), orientierten. Die rund 48 Zentimeter bzw. 68 Zentimeter breiten Bahnen sind als raumfüllende Endlostapete ohne Rapport aneinandergeklebt, eine Mode, die um 1800 aufkam, in Frankreich "papiers peints panoramiques" und in England "scenic papers" hieß. Die Manufaktur Zuber & Cie beauftragte 1835 den Maler ­Jean Julien Deltil mit dem Entwurf des Bilder-Zyklus "Les Courses des Chevaux". Ab 1838 wurde der eigentlich aus 32 Bahnen bestehende Dekor handgedruckt. Die exquisite, in Bleicherode auf 30 Bahnen reduzierte Jagdtapete verdient einen zweiten Blick und sollte ursprünglich wohl das Lustschloss eines Adligen zieren.

Kecke Szene während des Karnevals in Rom 
Bleicherode, Waldhaus Japan © ML Preiss, Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Bonn
Kecke Szene während des Karnevals in Rom

Am eindrucksvollsten sind die federgeschmückten Pferde, die ohne Zaumzeug, Sattel und Reiter voranpreschen, ein Ausschnitt aus dem Rennen auf dem Corso in Rom, das an der Piazza del Popolo beginnt und bis zum Palazzo Venezia führt. Der Ziellauf der wilden, mit Rauschgold behangenen Pferde auf der Szene daneben beendet den römischen Karneval.

Sobald alle Bahnen, die zum Teil in der Werkstatt der Restauratorin gereinigt, gefestigt, papiertechnisch ergänzt und retuschiert werden, wieder an Ort und Stelle hängen und die charmante historische Gestaltung des Saals aus den vielen Umbauten herausgeschält sein wird, kann Nadine Frosch ihre französischen Tapeten ebenso eindrucksvoll in Szene setzen, wie dies Jackie Kennedy tat. Nadine Frosch seien dann genauso viele Besucher gewünscht wie dem Weißen Haus, die vielleicht nicht ganz so berühmt sein werden - dafür aber zahlende Gäste.

Übrigens kann man in der seit 1797 bestehenden Tapetenfabrik Zuber & Cie in Rixheim noch heute mit den traditionellen Holzmodeln hergestellte Tapeten für die eigenen vier Wände ordern. Dabei hätten Sie die Auswahl unter 100.000 gravierten Holzblöcken aus dem 18. und 19. Jahrhundert.

Christiane Schillig

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2 Kommentare

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    Felix Lüdemann schrieb am 24.03.2016 23:51 Uhr

    In dem als "French Plantation House" 1828 errichteten Gutshaus Benz (bei Lübtheen in Mecklenburg-Vorpommern) befanden sich bis 1936 zwei 1827 gefertigte Tapeten-Panoramen als baugebundene bildliche Kunst von Zuber & Cie.: "Die Kämpfe der Griechen" im "Türkenzimmer", nach der Vorlage von Deltil und "Ansichten von Schottland" "Dame am See" im Gartensaal, nach der Romanvorlage Scotts/Gué. Das Gutshaus stammte von dem Baumeister Jacques Ramée (1764-1842) und war vor 1811 konzipiert worden. Bauherr war der Gutsbesitzer Ernst Friedrich von Treuenfels (1786-1838). Panoramentapeten, welche mit Mecklenburger Landbauarchitektur im Kontext stehen, gab es ebenfalls in dem Gutshaus Brüsewitz (1847) bei Schwerin, dem vormaligen Festen Haus Kurzen Trechow und dem Schloss Plüschow (um 1810). Das bisher bekannteste Tapeten-Panorama in einem landesherrlichen Bau Mecklenburgs ist die "Jagd von Compiègne" (2. Fassung 1815), vorm. im Herzoglichen Jagdschloss Friedrichsthal bei Schwerin.

    1964 wurde das Panorama ausgelagert und im Jagdschloss Friedrichsmoor bei Ludwigslust fachgerecht untergebracht und jüngst restauriert.

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    Birgit Schindele schrieb am 24.03.2016 23:51 Uhr

    Oh, wie interessant. In diesem Lokal feiert meine Oma übermorgen ihren 90. Geburtstag (2012). Mal sehen, ob wir die Tapete bewundern dürfen.

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