Sehen und Erkennen August 2009

Wie die Landschaft den Kirchenbau beeinflusst hat

Vom Findling zum Granitquader

Geologie, Topographie, Klima und Geschichte sind die Grundlagen, aus denen die Kulturlandschaften in Deutschland hervorgegangen sind. Besonders deutlich wird dies in den Küstengebieten der Nordsee, wo das Meer und die Stürme als Naturgewalten bis heute am stärksten wirken.

Die Nordseite der Tuffsteinkirche im ostfriesischen Arle zeigt noch viel Originalsubstanz. 
© G. Kiesow
Die Nordseite der Tuffsteinkirche im ostfriesischen Arle zeigt noch viel Originalsubstanz.

Das Meer war mit seinen Sturmfluten Feind und Freund zugleich. Es überflutete die Marschen, bevor der Mensch es mit dem Deichbau zurückdrängte, brachte jedoch fruchtbare Sinkstoffe mit, aus denen die fetten Marschböden entstanden. Mensch und Tier schützte man in Ostfriesland schon in vorgeschichtlicher Zeit durch die Anlage von Warfen, künstlich aufgeworfenen Hügeln, die über die Hochwassergrenze ragten und so Schutz boten. Die ersten christlichen Kirchen des 8. Jahrhunderts bestanden hier aus Holz, wie Grabungen in Emden und Stedesdorf nachgewiesen haben. Da es im niederdeutschen Küstengebiet keine Natursteinvorkommen gibt, musste man in den baumlosen Marschen das Holz herbeischaffen, was mit Schiffen oder Flößen nicht schwierig war. Dort, wo Ortschaften auf Geestrücken angelegt worden waren, die bis an die Buchten des Meeres reichten, konnte man auch Tuffstein aus der Eifel herbeischaffen. So hat man in der Zeit um 1150 in Arle auf der sehr hohen Warf eine Tuffsteinkirche erbaut. Dieses Material ist beim Abbau im Steinbruch so weich, dass man es mit Schrotsägen schneiden konnte. Leider hat der Tuffstein große Poren, in die das Wasser eindringt und bei Frost das Abspringen der Oberfläche bewirkt. Dabei sind die Schäden auf der Südseite der Kirche von Arle größer als auf der hier sichtbaren Nordseite, wo nur die untere Mauerzone wegen der aufsteigenden Feuchtigkeit so zerstört war, dass man sie in jüngster Zeit - denkmalpflegerisch richtig wieder in Tuffstein - völlig auswechselte. Auf der Südseite führt die starke Erwärmung im Frühjahr bis zu 20 Grad und die nächtliche Abkühlung auf bis zu minus 10 Grad zu so großen Spannungen, dass das Material darauf mit Rissbildungen oder Absprengungen reagiert. Man sollte bei Kirchen im Nordseegebiet nicht versäumen, die Nordseiten zu betrachten, hier wird man die meiste Originalsubstanz finden, zumal man in der Zeit nach der Reformation häufig große Fenster in die Südseiten eingebrochen hat, um mehr Licht zu gewinnen.

Die Feldsteinkirche in Bliedersdorf mit ihrem Fachwerkgiebel 
© G. Kiesow
Die Feldsteinkirche in Bliedersdorf mit ihrem Fachwerkgiebel

Auf den Geestrücken gab es Granitfindlinge, die in der Eiszeit mit den Gletschern aus Skandinavien hierher gelangt sind. Soweit es sich um etwa fußballgroße Findlinge handelt, hat man daraus Feldsteinkirchen aufgemauert, wie zum Beispiel in Bliedersdorf (Kreis Stade). Dieses Material ist wegen seiner Urwüchsigkeit bei romanischen Dorfkirchen sehr beliebt, allerdings nicht so haltbar, wie man vermuten möchte, denn die allseits runden Steine mit der sehr harten Oberfläche lassen sich nur schwer durch Mörtel miteinander verbinden. So ist denn auch in Bliedersdorf der Ostgiebel des Langhauses eingestürzt, und er musste in Fachwerk erneuert werden. Auch am Mauerwerk darunter zeigen sich bereits Schäden.

In Ostfriesland und im nach Osten anschließenden Jeverland hat man aus den Granitfindlingen Quadersteine geschaffen und zu Granitquaderkirchen vermauert. Davon gibt es im Jeverland 13, von denen einige durch schriftliche Nachrichten in die Mitte des 12. Jahrhunderts datiert werden können. In Ostfriesland gibt es komplett erhaltene noch in Asel, Marx, Buttforde und Middels (s. Kopfgrafik links). Außerhalb des jeverländisch-ostfriesischen Raumes kommen Granitquaderkirchen hauptsächlich an der von Nordfriesen besiedelten Westküste von Schleswig-Holstein und im dänischen Jütland vor. Das Mauerwerk aus Granitquadern ist von besonderer Schönheit durch den Maßstab der rechteckig zugehauenen Blöcke, die in Middels im Durchschnitt 60 Zentimeter hoch und bis zu 80 Zentimeter breit sind, in Buttforde sogar bis zu 125 Zentimeter breit. Fast fühlt man sich an die Monumentalität des antiken Zyklopenmauerwerks erinnert. Zur eindrucksvollen Größe kommt das wechselnde Farbspiel von rötlichen, violetten und grauen Tönen.

Die Wand der Stiftskirche von Wildeshausen (links) wurde wohl aus Steinen gemauert, wie wir sie am Großsteingrab in Osterholz-Scharmbeck (rechts und Kopfgrafik rechts) finden. 
Die Wand der Stiftskirche von Wildeshausen (links) wurde wohl aus Steinen gemauert, wie wir sie am Großsteingrab in Osterholz-Scharmbeck (rechts und Kopfgrafik rechts) finden.
Die Wand der Stiftskirche von Wildeshausen (links) wurde wohl aus Steinen gemauert, wie wir sie am Großsteingrab in Osterholz-Scharmbeck (rechts und Kopfgrafik rechts) finden.

Wie mühsam war es, aus dem harten Granit der großen runden Findlinge Quadersteine zu meißeln! Zunächst hat man den kugelförmigen Findling gespalten, in dem man ihn angebohrt hat, wie man an einem Quaderstein an der Stiftskirche von Wildeshausen (Kreis Oldenburg) noch ablesen kann. Dazu wurden primitive Drillbohrer verwendet, die aus einem Stab mit einer unteren Eisenspitze und einer um den Stab geschlungenen Schnur bestanden. Die Eisenspitze hatte zwar durch ständiges Schmieden die Härte von Stahl, musste aber immer wieder nachgeschärft werden, bis das Bohrloch tief genug war. Dort hinein schlug man trockene Holzkeile, die man wässerte. Dadurch erzielte man eine Sprengwirkung, wie sie auch durch eingefülltes Wasser und nächtlichen Frost erreicht werden konnte.

Die sehr großen Findlinge stammen wohl häufig von vorgeschichtlichen Großsteingräbern, wie eines davon in Osterholz-Scharmbeck (s. Kopfgrafik rechts) erhalten geblieben ist. An der Oberseite eines Steines sind bereits Bohrlöcher eingebracht worden. Man verzichtete dann aber offenbar auf die geplante Spaltung, vielleicht auch deshalb, weil es inzwischen Backsteine gab, mit denen man wesentlich leichter bauen konnte.

Die Südfassade des Dorfkirche in Buttforde (links) zeigt größere Schäden als die Nordseite (rechts). 
Die Südfassade des Dorfkirche in Buttforde (links) zeigt größere Schäden als die Nordseite (rechts).
Die Südfassade des Dorfkirche in Buttforde (links) zeigt größere Schäden als die Nordseite (rechts).

Die Granitquadermauern sehen wegen der großen Härte der Steine unvergänglich aus, sind aber dennoch für Schäden anfällig. Das liegt vor allem daran, dass man die gespaltenen Findlinge keineswegs an allen sechs Seiten sorgfältig behauen hat, sondern lediglich an der Sichtseite. Die daran anschließenden Flächen wurden nur in einer Tiefe von ungefähr 20 Zentimetern geglättet, um ein Auflager nach oben und unten zu gewinnen. Bei Teileinstürzen von Quadermauerwerk wird sichtbar, wie wenig die Granitquader durch den Mörtel mit dem Füllmauerwerk aus Steinbrocken verbunden sind. Wegen des schlecht auf der dichten Granitoberfläche haftenden Mörtels und des geringen Auflagers neigen die schweren Steine zum Verkanten und schließlich zum Herausfallen, wie man an der Südwand der Kirche in Buttforde feststellen kann. Man hat verzweifelt mit großen, kreuzförmigen Eisenankern versucht, die herausdrückenden Steine zu halten.

So gab es im Laufe der Jahrhunderte immer wieder Einstürze, vor allem bei den Westmauern und den halbrunden Apsiden. Am besten sind - wie bei den Tuffsteinkirchen und auch aus den gleichen Gründen - die Nordseiten der Granitquaderkirchen bewahrt geblieben. Das ist sowohl in Middels als auch in Buttforde zu erkennen. Für die gewaltigen, ungegliederten Mauern und einfachen Innenräume der romanischen Baukunst waren Granitquader durchaus geeignet, nicht aber für die in Gliedersystemen gestaltende Gotik, für die rechtzeitig die Backsteinbauweise nach dem Vorbild Oberitaliens entwickelt wurde.

Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow


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