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Die Entwicklung vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert

Backstein ist nicht gleich Backstein

Backsteine sind seit Jahrtausenden in Gegenden, die arm an Natursteinen sind, der bevorzugte Baustoff. Während sie in Italien seit der Römerzeit durchgängig Verwendung fanden, haben sie im nördlichen Europa erst wieder im Mittelalter Einzug in die Baukunst gefunden. In diesem Beitrag werde ich die Entwicklung der Maße, Farben und Oberflächen der Backsteine bis in das 20. Jahrhundert verfolgen.

Demonstrationen des frühen Brennvorgangs beim Wismarer Backsteingotikkongress (rechts) und im Kloster Jerichow (links) 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Demonstrationen des frühen Brennvorgangs beim Wismarer Backsteingotikkongress (rechts) und im Kloster Jerichow (links)

Das Material für die ersten Backsteinbauten wurde aus Ton in sogenannten Feldbrandöfen gebrannt. Auf dem dritten Wismarer Backsteinkongress im September 2008 wurde diese frühe, primitive Methode anschaulich dargestellt. Die Firma Falkenlöwe stiftete die 2.500 Rohlinge, wie man die nach einer Trockenzeit von fünf Wochen mit den Händen in Formkästen gedrückten und mit einem Holz glatt gestrichenen Grünlinge nennt. Die Rohlinge wurden so aufeinander geschichtet, dass sie einen innen hohlen Meiler ergaben, der Öffnungen zur Sauerstoffzufuhr für das Feuer und zum Nachlegen des Holzes besaß. Das Feuer brannte zwei Tage und zwei Nächte, dann ließ man es ausgehen, konnte den Ofen wegen der großen Hitze jedoch noch nicht öffnen. Mein zweites Foto stammt daher von einer ähnlichen Demonstration im Kloster Jerichow vor einigen Jahren. Damals hat man den Ofen zu früh geöffnet, und man erkennt, dass die innenliegenden Steine stärker durchgebrannt sind als die äußeren und deshalb ein stärkeres Rot aufweisen.

Backsteinensemble im litauischen Vilnius: Vor der Bernhardinerkirche ist links die Fassade von St. Anna zu sehen. 
© G. Kiesow
Backsteinensemble im litauischen Vilnius: Vor der Bernhardinerkirche ist links die Fassade von St. Anna zu sehen.

Bevor man fest gemauerte Brennöfen baute, was ungefähr seit dem 14. Jahrhundert üblich wurde, fiel der Brand in den Farben sehr unterschiedlich aus - von einem tiefen Rot bis zu Rosa- oder Ockertönen. Die Rotfärbung geht auf den Eisengehalt des Tons zurück, der sich durch das Brennen bei etwa 1.000 Grad in Eisenoxid verwandelt. Es gibt auch Vorkommen, bei denen der Ton kein Eisen enthält, so die inzwischen erschöpften von Glindow bei Berlin, aus denen gelbe Backsteine hergestellt wurden. Die unvollkommene Technik der Feldbrandöfen hat zu verschiedenen Abtönungen mit einem lebhaft wirkenden Farbenspiel wie bei der evangelisch-reformierten Kirche in Eilsum/Ostfriesland (s. Kopfgrafik rechts) geführt. Heute wird das von uns als ästhetisch angenehmer empfunden als das Bild, das die völlig einheitlichen, industriell hergestellten Maschinensteine der Gegenwart ergeben.

Vom ersten Aufkommen der großformatigen Backsteine etwa um 1180 bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts betrugen die Maße 28-30 cm Länge, 14-15 cm Breite und 8-9 cm Höhe. Sie wurden nicht zufällig so gewählt, sondern nach der festen, vom Fußmaß des Mittelalters ausgehenden Größe des Formkastens, der einen Fuß (30,5-31 cm) lang, einen halben Fuß (15,25-15,5 cm) breit und einen drittel Fuß (10-10,5 cm) hoch war. Beim Trocknen des Grünlings zum Rohling schwindet dann die Größe ebenso wie beim Brennen des Rohlings zum fertigen Backstein. Man nennt diese großformatigen Backsteine Klostersteine, weil die Klöster der Zisterzienser zum Beispiel in Bad Doberan oder der Prämonstratenser in Jerichow bei der Einführung und Verbreitung der Backsteintechnik eine führende Rolle spielten. Bei den Produkten einer Ziegelei sind die Maße aller Backsteine gleich, sonst ergeben sich Abweichungen, sowohl durch die in Deutschland bis zur Einführung des Meters verschiedenen Größen des Fußmaßes als auch durch die unterschiedliche Zusammensetzung des Tons, der beim Trocknen und Brennen in unterschiedlichem Maße schrumpfen kann.

Specklagen am Giebel des Schöningschen Hauses im ostfriesischen Norden 
© G. Kiesow
Specklagen am Giebel des Schöningschen Hauses im ostfriesischen Norden

Bis zum 17. Jahrhundert hält sich der großformatige Klosterstein, wird aber mit Beginn der Renaissance nur noch selten als Sichtmauerwerk gezeigt. Verputzt wird mit dem preiswerten Baumaterial ein Werksteinbau imitiert. Den Wechsel kann man beim gotischen Ensemble vom litauischen Vilnius an den beiden Kirchen ablesen. Während St. Anna 1495-1500 noch ganz aus sichtbaren Backsteinen erbaut wurde, wurde der Renaissance-Giebel der dahinter stehenden Bernhardinerkirche im späten 16. Jahrhundert verputzt und rot gestrichen.

Bis zu Schinkels 1824-30 erbauter neugotischer Friedrichswerderscher Kirche in Berlin gab es in Deutschland kaum noch Kirchen aus sichtbarem Backstein. Nur im Küstengebiet von Nord- und Ostsee blieb man aus klimatischen Gründen dem Sichtmauerwerk aus Backsteinen treu, mischte diese aber mit Gliederungen aus Kalk- oder Sandstein, wie zum Beispiel am Schöningschen Haus in Norden aus dem Jahr 1576. Diesen Wechsel von jeweils vier bis sechs Backsteinlagen mit einem Streifen aus hellem Kalkstein, der den holländischen Einfluss auf die Baukunst der Renaissance in Ostfriesland verrät, nennt man in den Niederlanden "Specklagen".

Vom 17. Jahrhundert an verwendete man anstelle der großformatigen Backsteine solche von mittlerer Größe, so 1688 bei neuen Bauteilen an St. Cosmae in Stade mit den Maßen 25x12x6-6,6 cm, wobei jetzt 13-14 Schichten auf einen Meter Mauerwerk kommen, beim Klosterstein des Mittelalters sind es nur 10-10,5 Schichten.

Die Fassaden der Lambertikirche und des Schlosses (rechts) in Aurich 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Die Fassaden der Lambertikirche und des Schlosses (rechts) in Aurich

Im 18. Jahrhundert werden die Backsteine noch einmal kleiner, sie messen bei der 1731 erbauten Neuen Kanzlei des Schlosses in Aurich 25x12x5 cm. So kommen nun 17 Schichten auf einen Meter Mauerwerk. Dieses Kleinformat prägt auch die Backsteinbauten des Klassizismus wie die Lambertikirche in Aurich, bei der in den Jahren 1833-35 Backsteine im Format 25x12-12,5x5 cm verwendet wurden, mit 16,5 Schichten auf einen Meter.

Am Pfarrhaus in Wittmund findet man Klinker in Blau- und Violetttönen (oben). Das Haus Neue Straße 8 in Leer zeigt sie in Gelb und Rot. 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Am Pfarrhaus in Wittmund findet man Klinker in Blau- und Violetttönen (oben). Das Haus Neue Straße 8 in Leer zeigt sie in Gelb und Rot.

Mit der fortschreitenden Industrialisierung durch den Einsatz von Wasserkraft und Dampfmaschinen wurde es möglich, Backsteine fabrikmäßig herzustellen. Wesentlich dafür war die Erfindung der Strangpresse, bei der ein schneckenartiges Gewinde - ähnlich einem Fleischwolf - den möglichst festen Lehm durch ein rechteckiges Mundstück presst, während ein Abschneider - ein gespannter Draht - aus dem endlosen Strang gleichgroße Längen abtrennt. Diese Maschinensteine sind alle gleich groß, sehr glatt und hart, denn man verwendet wegen der größeren Festigkeit Schieferton anstelle des für Handstrichsteine üblichen Moränentons.

Durch den Bau von mit Steinkohle befeuerten Ringöfen konnte man Brenntemperaturen bis zu 1.200 Grad erzeugen und dadurch Klinkersteine herstellen, wie sie beim Haus Neue Straße 8 in Leer in der Zeit um 1880 eingesetzt wurde. Man verwendete gern gelbe Klinker für die Wandflächen und rote für die Gliederungselemente. Das Format wird wieder etwas höher aber kürzer, nämlich 19,7x10,5x5,6 cm mit 16 Schichten auf einen Meter. Jugendstil und Expressionismus bevorzugten sehr hart gebrannte dunkle Klinker, auch in dunkelblauen und violetten Farbtönen wie um 1920-30 beim Pfarrhaus der ev.-luth. Gemeinde in Wittmund mit Maßen von 22x10,5x5 cm und 16,5 Schichten auf einen Meter.

Bei der Erneuerung der romanischen Apsis der ev.-luth. Kirche im ostfriesischen Roggenstede hat man zwar kleinformatige Steine im Format 23x11x5 cm bei 16 Schichten auf einen Meter gewählt, einige auch stolz mit Namen und dem Datum 1891 versehen, sich aber in der Farbe durch die Mischung unterschiedlicher Brennvorgänge und weniger hoher Brenntemperaturen den romanischen Klostersteinen aus der Zeit um 1250-75 angenähert. Das kleinere Format wählte man wohl, um besser die Rundung der Apsis mit ungebogenen Backsteinen mauern zu können.

Gelungene Sanierungen an der Apsis der Kirche im ostfriesischen Roggenstede und am Turm der Wismarer Marienkirche (rechts) 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Gelungene Sanierungen an der Apsis der Kirche im ostfriesischen Roggenstede und am Turm der Wismarer Marienkirche (rechts)

Bei Ausbesserungsarbeiten an mittelalterlichem Mauerwerk darf man keine Maschinensteine einsetzen, wie dies leider bei der Bernhardinerkirche in Vilnius (s. Kopfgrafik links) geschehen ist. Für die zu glatten und harten Klinker wählte man zwar das mittelalterliche Klosterformat, dennoch werden die Maschinensteine sich nie durch Alterung den historischen Handstrichsteinen mit ihrer weichen, rauen und rissigen Oberfläche anpassen, wie dies bei zwar neuen, aber in der alten Technik hergestellten Handstrichsteinen - zum Beispiel am Turm der Marienkirche in Wismar - schon nach wenigen Jahren zu beobachten ist.

Prof. Dr. Dr. E. h. Gottfried Kiesow

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1 Kommentare

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    Marion Pütz schrieb am 21.03.2016 11:43 Uhr

    Es befinden sich jede Menge Klostersteine in unserem 1890 erbauten Bauernhaus! Nachdem wir die letzten 20 Jahre laufend modernisiert und umgebaut haben, hat das alte Haus sich zu einem 8-Familien-Haus entwickelt. Überall, wo es möglich war, brachten wir die wunderschönen Fachwerkwände wieder zum Vorschein.

    Die Steine haben die Maße25 x 12 x 6- 6,6 cm (ab 17. Jahrhundert) und einen Stein habe ich noch mit den Maßen 28-30 x 14-15 x 8-9 cm gefunden (1180-16. Jahrhundert).

    Viele Grüße

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