Kurioses

Jona, der Wal und die Auferstehung

Marias Rippe

Staatsbesuche gehörten ein halbes Jahrhundert lang zum Bonner Alltag. Doch weder Königin Elisabeth II. noch John F. Kennedy oder Leonid Breshnew haben so viel Aufsehen erregt wie ein Beluga-Wal. Er hatte sich in den Rhein verirrt und beglückte die Bonner im Juni 1966 mehrere Tage mit seiner Anwesenheit. Immer schon haben diese friedlichen Meeressäuger aufgrund ihrer Größe eine ganz besondere Faszination ausgeübt, immer wieder wurden sie zu Motiven in Kunst und Literatur. Vor allem die alttestamentliche Geschichte des Propheten Jona regt bis heute zu phantasievollen Darstellungen an.

Die Bad Gandersheimer Stiftskirche besitzt seit dem 18. Jahrhundert diesen Unterkiefer eines Buckelwals.  
© Roland Rossner
Die Bad Gandersheimer Stiftskirche besitzt seit dem 18. Jahrhundert diesen Unterkiefer eines Buckelwals.

In dieser Erzählung erhält Jona einen göttlichen Auftrag: "Mach dich auf den Weg, und geh nach Ninive, in die große Stadt, und droh ihr (das Strafgericht) an! Denn die Kunde von ihrer Schlechtigkeit ist bis zu mir gedrungen", heißt es dort. Doch Jona hat Angst vor dieser Aufgabe und widersetzt sich. Er zieht nicht in die mesopotamische Stadt am Tigris, sondern nach Jaffa, von wo er mit einem Schiff nach Tarsis - man vermutet es im heutigen Spanien - fliehen will. "Aber der Herr ließ auf dem Meer einen heftigen Wind losbrechen; es entstand ein gewaltiger Seesturm, und das Schiff drohte auseinanderzubrechen." Das Los macht den ungehorsamen Jona als Verursacher des Unwetters aus. Man solle ihn über Bord werfen, schlägt er selbst vor, was nach einigem Zögern auch geschieht. "(...) und das Meer hörte auf zu toben. Da ergriff die Männer große Furcht vor Jahwe, und sie schlachteten für Jahwe ein Opfer und machten ihm viele Gelübde". Jona wird von einem großen Fisch verschlungen und erkennt, dass nur Gott ihn aus dieser misslichen Lage retten kann. "Ich aber will dir opfern und laut dein Lob verkünden", betet er. Nach drei Tagen wird er wieder ausgespuckt und macht sich gehorsam auf den Weg nach Ninive.

Aus den Walknochen in der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol hat der Volksmund "St. Marias Rippe" gemacht.  
© Roland Rossner
Aus den Walknochen in der Kölner Kirche St. Maria im Kapitol hat der Volksmund "St. Marias Rippe" gemacht.

Für das Christentum ist dieser Teil der Geschichte von großer Bedeutung, weil das Verschlingen Jonas und seine Rettung drei Tage später als Symbol für den Tod und die Auferstehung Jesu gesehen wird. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade diese Episode des Buches Jona gerne von Künstlern aufgegriffen wurde. Auf ihren Darstellungen hat der große Fisch die Form eines Wals. Auch bei Jan Brueghel dem Älteren, der den Propheten als alten Mann zeigt: Betend entsteigt er dem ins Groteske vergrößerten Maul. In der frühchristlichen Kunst wird er dagegen oft als Jüngling abgebildet. Weil die Geschichte von Jona und dem Wal eine so hohe Symbolkraft besitzt, wurden Walknochen auch als Reliquien verehrt. In der Stiftskirche von Bad Gandersheim liegt der Unterkiefer eines etwa 15 Meter langen Buckelwals. Im 18. Jahrhundert soll ihn ein Walfänger der Kirche übergeben haben. Da man glauben wollte, dass der Unterkiefer von dem Wal stammte, der Jona verschlungen hatte, wurden dem Knochen heilende Kräfte zugeschrieben. Man bohrte ihn an, um ein fiebersenkendes Pulver zu gewinnen. Die Bohrlöcher sind immer noch gut zu erkennen. Im südlichen Seitenschiff von St. Maria im Kapitol in Köln hängen ebenfalls Fragmente von Walknochen. Man weiß weder, seit wann sie im Besitz der Kirche sind, noch woher sie stammen. Vielleicht übergab ein Kölner, der auf einem Walfangschiff angeheuert hatte, sie zum Zeichen seiner glücklichen Rückkehr. Der Volksmund hat aus ihnen "Zint Märjens Repp" - Sankt Marias Rippe - gemacht.

Darstellung eines gestrandeten Schwertwals in der Greifswalder Marienkirche.  
© Roland Rossner
Darstellung eines gestrandeten Schwertwals in der Greifswalder Marienkirche.

Der Schwertwal, den man in der Greifswalder Marienkirche verewigt hat, war am 30. März 1545 bei Wiek gestrandet. Der Fund dieses seltenen Gastes in der Ostsee hatte die Menschen sehr beeindruckt und war als Zeichen Gottes gedeutet worden. Das Wandbild zeigt den Wal in seiner rund 7,30 Meter langen und 3,50 Meter breiten Originalgröße. An der Rückenflosse ist zu erkennen, dass es sich um ein männliches Tier handelte. Dank dieses Bildes konnte der Schweizer Naturforscher Conrad Gesner eine Zeichnung des Schwertwals in sein vierbändiges Werk "Historia Animalium" aufnehmen, das zwischen 1551 und 1558 erschien.
So wie in Wiek strandeten immer wieder verendete Wale, die sich zuvor in zu seichte Gewässer verirrt hatten. Die Tiere sind nicht in der Lage, an Land zu überleben, weil sie schnell austrocknen. Da der Auftrieb des Wassers fehlt, drückt ihr eigenes Körpergewicht außerdem die Lungen zusammen. Zunehmend werden verendete Wale angespült, wenn die Marine Übungen mit Sonaren durchgeführt hat. Die Tiere, die über Biosonare miteinander kommunizieren, werden durch diese militärische Messtechnik irritiert und kommen zu schnell an die Meeresoberfläche. Dabei wird - wie bei Tauchern auch - offenbar im Blut gelöster Stickstoff freigesetzt, der die Gefäße versperrt.

Wale gehören zu den größten Tieren, die jemals auf der Erde gelebt haben. Kein Wunder, dass sie die Menschen enorm erschreckten. Doch man erkannte rasch den wirtschaftlichen Nutzen, den der aus Walspeck gewonnene Brennstoff lieferte. Außerdem wurde Walrat, das sich in den Köpfen von Pottwalen befindet, für Kerzen, Kosmetika und Arzneimittel verwendet. Als im 17. Jahrhundert Reifröcke in Mode kamen, stellte man die Reifen aus Barten her, mit denen die Bartenwale - zum Beispiel Blau- und Buckelwale - Plankton aus dem Wasser filtern. Diese Hornplatten, die sich anstelle von Zähnen im Oberkiefer befinden, eigneten sich sehr gut dafür, weil sie zwar fest, aber gleichzeitig biegsam sind. Die faserigen Platten ließen sich außerdem einfach verarbeiten.

Auf Borkum stehen diese ungewöhnlichen Zäune aus Walknochen.  
© Roland Rossner
Auf Borkum stehen diese ungewöhnlichen Zäune aus Walknochen.

Walknochen wurden sogar beim Hausbau verwendet. Die Inuit formten ihre sogenannten Thule-Häuser aus Walrippen, die sie als Rahmen zwischen Felsbrocken und Tundraboden steckten und mit Tierhäuten überspannten. Auf der niederländischen Insel Vlieland dienten früher die bis zu vier Meter hohen Unterkieferknochen von Bartenwalen als Grabmäler. Und auf Borkum zäunten die Kommandeure von Walfangschiffen ihre Grundstücke - in Ermangelung von Holz - mit Walknochen ein, um sie vor Sandverwehungen zu schützen. Die Zäune haben einen hohen kulturwissenschaftlichen Wert, weil sie sehr eng mit der Geschichte dieser ostfriesischen Insel verbunden sind. Die Bewohner Borkums lebten nach einer schweren Sturmflut, die 1634 ihre Felder zerstört hatte, vom Walfang - einem lukrativen, aber auch sehr gefährlichen Geschäft. Im Jahr 1734 hatte es rund ein Drittel der Borkumerinnen zu Witwen gemacht. Viele Söhne, manche von ihnen nicht älter als zehn Jahre - kehrten ebenfalls nicht zurück. Im zeitigen Frühjahr verließen die Schiffe die Insel und steuerten zunächst Hamburg oder einen niederländischen Hafen an. Von dort ging es weiter in die Buchten von Jan Mayen - einer Insel in der Grönlandsee - und von Spitzbergen.

Die Zäune aus Walknochen müssen dringend konserviert werden.  
© Roland Rossner
Die Zäune aus Walknochen müssen dringend konserviert werden.

Sobald ein Wal aus dem Mastkorb gesichtet wurde, ließ man kleine Ruderboote mit sechs bis acht Besatzungsmitgliedern zu Wasser. Wenn es gelang, einen Wal mit Harpunen oder Lanzen zu erlegen, wurde er an Land geschleppt. Sogenannte Flenser lösten dann den Speck vom Skelett und schnitten ihn in Würfel. Anschließend wurde er in Trankochereien weiterverarbeitet. Als sich der Walfang in den Buchten nicht mehr lohnte, mussten die Schiffe ins "Westeis" ausweichen - ein Gebiet westlich von Spitzbergen und der Davis-Straße. Weil der Weg zu den Trankochereien nun zu weit war, wurden die Wale im Wasser direkt an den Schiffen abgespeckt. Die Walkadaver lockten andere Tiere an, die auch ihren Teil abbekamen. Wenn sich die vollgefressenen Seevögel erschöpft auf der Reling niederließen, wurden sie vom Kochsmaat erschlagen, um den eintönigen Speisezettel aufzubessern. Die Harpuniere erlegten oft weibliche Wale und Jungtiere, weil sie langsamer als ihre ausgewachsenen männlichen Artgenossen schwammen. Kein Wunder also, dass die Population immer weiter zurückging, mehrere der 80 Walarten vom Aussterben bedroht sind. Seit 1946 gibt es die Internationale Walfangkommission. Sie legt Schutzzonen und Fangquoten fest, die aber leider nicht von allen Ländern eingehalten werden.

Walfang wurde nicht nur in Europa betrieben. Die Insel Nantucket vor der nördlichen Atlantikküste der Vereinigten Staaten nannte sich im 18. und 19. Jahrhundert stolz Walfang-Hauptstadt der Welt. Von dort lässt auch Hermann Melville das Walfangschiff Pequod starten, mit dem Kapitän Ahab sich auf die Suche nach einem weißen Wal begibt. Ihm hat er den Verlust eines Beines zu verdanken. Moby Dick heißt dieser Wal, der aus der Weltliteratur nicht mehr wegzudenken ist. Es lag daher auf der Hand, den Beluga-Wal, der sich 1966 in den Rhein verirrt hatte, ebenso zu nennen. Ihm zu Ehren wurde zehn Jahre später ein Fahrgastschiff in Betrieb genommen, das einem Wal nachempfunden ist und ebenfalls Moby Dick heißt. In seinem Schiffsbauch kann man sich auf eine Rheinreise begeben. Sie dauert allerdings keine drei Tage wie im Buch Jona, sondern nur wenige Stunden und verläuft auch weitaus angenehmer.

Carola Nathan

Literatur:
Hans Teerling: Aus Borkums Vergangenheit. Die Walfängerzeit in Wort und Bild. Hrsg. Heimatverein der Insel Borkum e. V., Borkum 1980.
Klaus Barthelmeß: Das Bild des Wals in fünf Jahrhunderten. dme-Verlag Köln 1982.
Eine Rezension zur Publikation von Hans Teerling lesen Sie

Informationen:
St. Maria im Kapitol, Kasinostraße, 50676 Köln, Tel. 0221/23 73 24, Öffnungszeiten: Mo-Sa 9 bis 18 Uhr, So 11.30 bis 17 Uhr.
Stiftskirche Bad Gandersheim, Stiftsfreiheit, 37581 Bad Gandersheim, Tel. 05382/73-4 90, pzg@bad-gandersheim.de Öffnungszeiten: Di-Sa 10 bis 12.30 und 14.30 bis 17 Uhr, So/Mo 14.30 bis 17 Uhr.

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