Sehen und Erkennen Material Restaurierungstechniken Oktober 2007

Dendrochronologie schreibt Geschichte von Häusern neu

Was Jahresringe verraten

Die Kunstwissenschaft und Hausforschung erhielten vor rund fünf Jahrzehnten für die Datierung von Baudenkmalen Hilfe durch Forstbotaniker, denen es anhand der Jahresringe zunächst von Eichenholz, dann aber auch von Nadelholz gelang, das exakte Datum der Fällung von Bauholz festzustellen. Erst seit der Industrialisierung wird dies durch maschinengetriebene Sägen geschnitten. Zuvor wurden aus den runden Baumstämmen die im Querschnitt quadratischen oder rechteckigen Bauhölzer mit der Breitaxt herausgehauen, was man nur mit frisch gefällten Bäumen machen konnte, abgelagertes Holz war dafür zu hart.

Der Römer 2-4-6 (links) gehört zu den ältesten Gebäuden in Limburg a. d. Lahn. Die dendrochronologische Untersuchung der Sparrenbalken (rechts) bestätigte eine Erbauungszeit um 1289. 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Der Römer 2-4-6 (links) gehört zu den ältesten Gebäuden in Limburg a. d. Lahn. Die dendrochronologische Untersuchung der Sparrenbalken (rechts) bestätigte eine Erbauungszeit um 1289.

Bäume setzen, je nachdem ob es sich um trockene oder nasse Zeiträume handelt, unterschiedlich dicke Jahresringe an. Wie die Holzprobe vom Gotischen Haus im hessischen Limburg (Römer 2-4-6) zeigt, ergibt sich im Laufe des Wachstums ein ganz bestimmter Rhythmus von unterschiedlich dicken Jahresringen (siehe Kopfgrafik). Setzt man diesen in eine graphische Kurve um, kann man im Vergleich zu vorhandenen Kurven ermitteln, dass der Baum für den abgebildeten Balken 1289 gefällt worden ist. Man muss dafür allerdings eine Sammlung von Kurven besitzen, um die zu bestimmende mit einer bereits bekannten zur Deckung bringen zu können. Fällt man heute eine Eiche, die 250 Jahre alt ist, gewinnt man eine Kurve für die Jahre 1757-2007. Findet man ein Bauholz, das 1857 aus einem 200 Jahre alten Baum herausgearbeitet wurde, kann man es durch teilweises Übereinanderlegen mit der Kurve von 1757-2000 datieren und kommt bereits bis in das Jahr 1657 zurück, und so weiter bis in die weit zurückliegenden Jahrhunderte. Man muss allerdings immer in derselben Klimazone bleiben, denn wir merken ja in unserer Zeit auch, dass einem trockenen, heißen Sommer im Küstengebiet durchaus ein nasser, kühler im Alpenraum gegenüberstehen kann.

Will man ein Bauwerk mit Hilfe der Dendrochronologie datieren, muss das dafür ausgewählte Holz im Laufe des Bauvorgangs eingebaut und fest mit dem Bau verbunden sein. Zur Bestimmung des exakten Fällungsdatums benötigt man die Waldkante, die unmittelbar unter der Baumrinde liegt. Hat man wenigstens noch das Splintholz, das sind die letzten etwa zehn noch vom Saft durchströmten Jahresringe, kommt man zu einer ungefähren Datierung von plus/minus fünf Jahren. Im Fall des monumentalen Fachwerkhauses Römer 2-4-6 in Limburg war noch ein großer Bestand von Bauhölzern mit Waldkante aus der Erbauungszeit von 1289 vorhanden, so zum Beispiel bei den Sparren des komplett erhaltenen Dachstuhls. Auch konnten in Limburg die Hausforscher mit Hilfe der Dendrochronologie fünf weitere Fachwerkhäuser in den Zeitraum zwischen 1289 und 1296 einordnen. Das passt zeitlich gut in die Limburger Stadtgeschichte, denn am 14. Mai 1289 verwüstete ein schriftlich überlieferter Brand die Stadt, die jedoch aufgrund ihrer wirtschaftlichen Kraft durch Getreidehandel und Wollweberei sofort zu einem Wiederaufbau in der Lage war.

Das Haus Kuhgasse 1 (links) galt einst als älstestes in Hessen. Eine kleine Sensation ist das schon 1276 traufenständig erbaute Haus Rote Strasse 25 (rechts) in Göttingen. 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Das Haus Kuhgasse 1 (links) galt einst als älstestes in Hessen. Eine kleine Sensation ist das schon 1276 traufenständig erbaute Haus Rote Strasse 25 (rechts) in Göttingen.

Mit der Entdeckung der Dendrochronologie begann eine neue Ära der Baugeschichte, die für viele Gebäude neu geschrieben werden musste. Noch steht an dem Haus Kuhgasse 1 in Gelnhausen, es sei das älteste in Hessen, erbaut um 1340. In Wirklichkeit sind dies jetzt die erwähnten Häuser in Limburg von 1289, ferner auch das Haus Schellgasse 8 in Frankfurt-Sachsenhausen von 1291. Wahrscheinlich standen bis zur Zerstörung im Zweiten Weltkrieg noch ältere Fachwerkhäuser zwischen Römer und Dom in Frankfurt, von denen wir zwar historische Fotografien besitzen, jedoch nie mehr ihr Alter bestimmen können. Eine gewisse Sensation bedeutete die Datierung des Fachwerkhauses Rote Strasse 25 in Göttingen in das Jahr 1276, nicht allein wegen des nochmals höheren Alters, sondern weil es schon damals traufenständig erbaut worden ist. Damit scheint diese für das Mittelalter besondere Bauweise im Harzraum und Leinetal von Anfang an üblich gewesen zu sein, während im übrigen Deutschland die Häuser an der Straße mit der schmalen Giebelseite angeordnet waren.

Die Dendrochronologie ist auch bei Ausgrabungen eine große Hilfe, konnten doch im Hof von Schloss Romrod die hölzernen Vorgängerbauten in die Zeit zwischen 1176 und 1192 datiert werden. Die hier abgebildeten Reste vom sogenannten Niederlass zeigen bereits eine voll ausgebildete Schwelle mit eingezapften Ständern, eine fortschrittliche Konstruktionsweise, die von der älteren Forschung erst vom 14. Jahrhundert an für möglich gehalten wurde.

Der Niederlass im Hof von Schloss Romrod 
© G. Kiesow
Der Niederlass im Hof von Schloss Romrod

Doch nicht allein für den Fachwerkbau brachte die erst vor rund einem halben Jahrhundert entwickelte Dendrochronologie neue Forschungsergebnisse. So schwankte zuvor beim Grauen Haus in Winkel (Rheingau, Hessen) die Datierung zwischen dem 9. und dem 12. Jahrhundert, bis die Jahresringe eines Holzes das Datum 1075 ergaben. Bei der Remigiuskirche in Büdingen war die Enttäuschung bei den örtlichen Forschern groß, als hier bei einem fest mit dem Bau verbundenen Holz das Fällungsdatum 1047 ermittelt wurde, hatte man den Bau doch bis dahin wegen seiner kleinen Rundfenster und seines altertümlichen Westquerbaus in Analogie zu St. Severin in Passau in die Zeit um 800 datiert.

Neue Ergebnisse zur Datierung des Grauen Hauses in Winkel (links) und der Remigiuskirche in Büdingen (rechts) sind der Dendrochronologie zu verdanken. 
© G. Kiesow / G. Kiesow
Neue Ergebnisse zur Datierung des Grauen Hauses in Winkel (links) und der Remigiuskirche in Büdingen (rechts) sind der Dendrochronologie zu verdanken.

Angesichts weitgehend fehlender schriftlicher Überlieferung für die Entstehungsgeschichte mittelalterlicher Bauten ist die Dendrochronologie für die Kunstgeschichte eine große Hilfe. Liefert sie doch exakte Datierungen, die als Festpunkte für ungefähre zeitliche Einordnungen aufgrund der Stilformen dienen können.

Professor Dr. Dr.-Ing. E. h. Gottfried Kiesow

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