Öffentliche Bauten 1900 Juni 2007 G

Das ehemalige Leipziger Reichsgericht

Einschüchtern war Absicht

In der Nacht zum 28. Februar 1933 schlugen Flammen in den Himmel über Berlin: Unbekannte hatten im Reichstag Feuer gelegt. Hitler sprach sofort von einem kommunistischen Komplott und läutete mit der Reichstagsbrandverordnung das Ende der Demokratie ein. Die Gegenseite unterstellte ihrerseits eine Verschwörung Görings. Nun sollten am Leipziger Reichsgericht die Hintergründe geklärt werden: Im Herbst 1933 fand dort der Reichstagsbrandprozess statt, der sich über mehrere Monate hinzog.

126 Meter lang und 76 Meter breit: das heutige Bundesverwaltungsgericht. 
© R. Rossner
126 Meter lang und 76 Meter breit: das heutige Bundesverwaltungsgericht.

Die Verdächtigten Georgi Dimitroff, Mitbegründer der bulgarischen KP, und Ernst Torgler mussten schließlich freigesprochen werden; der holländische Kommunist Marinus van der Lubbe wurde als Alleintäter zum Tode verurteilt. Diese Verhandlung wird wohl eine der spektakulärsten bleiben, die man mit dem imposanten Reichsgerichtsgebäude am heutigen Simsonplatz in Leipzig verbindet - auch wenn die Geschichte des Hauses als Gerichtsstätte weiter geht: 2002 ist das Bundesverwaltungsgericht, das seinen Sitz zuvor in Berlin hatte, hier eingezogen.


Es war eine lange Entwicklung von der mittelalterlichen Gerichtslinde zum Justizpalast, an der sich auch der Wandel der Rechtsprechung ablesen lässt. Waren die Gerichtssäle im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit meist dem Rathaus angegliedert, wurden in Deutschland erst im 19. Jahrhundert repräsentative Gerichtsgebäude errichtet. Mit der Überwindung des Absolutismus und dem Erstarken des liberalen Bürgertums konnte sich der moderne Rechtsstaat entwickeln. Wichtigstes Indiz für den Umbruch war die Gewaltenteilung, die in Deutschland allerdings erst in der Weimarer Verfassung verankert wurde. Nach der Reichsgründung 1871 kam es zu einer Neuordnung der Gerichtsverfassung: Acht Jahre später traten die Reichsjustizgesetze in Kraft. In den großen Städten wurden nun repräsentative Gerichtsgebäude errichtet, denn das neue liberale Verfahrensrecht schloss die Öffentlichkeit mit ein und verlangte entsprechende Räumlichkeiten mit geräumigen Sitzungssälen und Wartehallen. Als Vorbild galt der 1860-1883 von Joseph Poelart in Brüssel errichtete Justizpalast: das größte Gebäude des 19. Jahrhunderts in Europa. Dass so gewaltige Architektur einschüchternd wirkt, war durchaus beabsichtigt.

Ohne imposante Eingangshalle war ein Justizpalast im 19. Jahrhundert undenkbar. 
© R. Rossner
Ohne imposante Eingangshalle war ein Justizpalast im 19. Jahrhundert undenkbar.

1879 wurde in Leipzig - zunächst im Gebäude des Reichsoberhandelsgerichtes - das Reichsgericht als oberster deutscher Gerichtshof eröffnet, der vor allem als Revisionsinstanz fungierte. Gegen Berlin als Standort hatte nicht nur die föderalistische Struktur des Staates gesprochen, sondern vor allem das Bedürfnis, die Unabhängigkeit der Justiz gegenüber der Reichsregierung zu bekunden. 1884 schrieb man einen Wettbewerb für den Neubau des "Reichsgerichtshauses" aus, das neben den Sitzungssälen auch eine große Wartehalle, eine Dienstwohnung für den Gerichtspräsidenten samt Festsaal sowie eine Bibliothek beherbergen sollte. Als Sieger gingen Ludwig Hoffmann, der spätere Berliner Stadtbaurat, und Peter Dybwad hervor. Hoffmann musste den Entwurf allerdings überarbeiten. Vor allem veränderte er den oberen Abschluss zugunsten der zentralen Kuppel, denn man wünschte sich für den Neorenaissancebau ein Mehr an Monumentalität. Am 26. Oktober 1895 konnte schließlich die Einweihung gefeiert werden. Das Reichsgericht war also fast zeitgleich mit dem Berliner Reichstagsgebäude von Paul Wallot entstanden - die Ähnlichkeiten zwischen den beiden wichtigsten wilhelminischen Staatsbauten sind unverkennbar.


Der Mittelrisalit bietet mit seinem Säulenportikus ein repräsentatives Entree. Im Giebelfeld thront Justitia, umgeben von Rechtsprechung auf der einen sowie Strafe und Verdammnis auf der anderen Seite. Der Haupteingang wird von den sogenannten Kaisertürmen flankiert, in deren Nischen ursprünglich Statuen von Wilhelm I. und Wilhelm II. aufgestellt waren. Als ein weithin sichtbares Mahnmal bekrönt die fünfeinhalb Meter hohe Figur der Wahrheit die große Kuppel. An bedeutungsschwangerem Zierrat herrscht auch im Inneren kein Mangel: Gerechtigkeitssymbole und Anspielungen auf das Deutsche Reich schmücken Wände, Türen, Decken und Fenster.

Der Festsaal wurde nach alten Plänen und Zeichnungen rekonstruiert. 
© R. Rossner
Der Festsaal wurde nach alten Plänen und Zeichnungen rekonstruiert.

Allein ein Viertel des gesamten Gebäudes, das immerhin eine Länge von 126 Metern aufweist, war dem Reichsgerichtspräsidenten vorbehalten. Dem nach Kaiser und Reichskanzler wichtigsten Mann im Staat hatte man innerhalb des Gerichts gewissermaßen ein Stadtschloss eingerichtet - inklusive Dienstbotenzimmern, Räucherkammer und Weinkeller. Das sogenannte Marmortreppenhaus, das in Wirklichkeit aus Stuck bestand, erschloss diesen Trakt im Südosten, zu dem auch der Festsaal gehört. "Die Damen alle in Weiß. (...) Die Musikerloge, das Deckengemälde. (...) Einer der beiden jungen Architekten hatte sich vom Louvre beeinflussen lassen. Diese schon unwirkliche Pracht!" So lässt Erich Loest in seinem Roman "Reichsgericht" die 90-jährige Witwe eines Reichsgerichtsrates über die vergangenen Zeiten sinnieren. Die Institution Reichsgericht bestand bis 1945, bei Luftangriffen wurde das Gebäude glücklicherweise nicht dramatisch beschädigt. Ab 1952 war das Museum der bildenden Künste im Erdgeschoss untergebracht, im ersten Obergeschoss wurde das Georgi-Dimitroff-Museum eingerichtet, dessen wichtigstes Zeugnis der berühmt-berüchtigte Plenarsaal war, in dem der Bulgare Hermann Göring die Stirn geboten hatte. In die übrigen Räume zogen Teile des Staatsarchivs und verschiedene Dienststellen ein; der Festsaal wurde durch den Umbau zum Synchronisationsstudio der DEFA weitgehend zerstört. Die Denkmalliste der DDR führte das ehemalige Reichsgericht seit den siebziger Jahren als Geschichtsdenkmal, als Kulturdenkmal war der Bau jedoch nicht eingetragen.

Im großen Plenarsaal fanden viele berühmte Prozesse statt. 
© ML Preiss
Im großen Plenarsaal fanden viele berühmte Prozesse statt.

er neue Hausherr, das Bundesverwaltungsgericht, hat die Struktur des alten Gerichtsgebäudes im Wesentlichen beibehalten beziehungsweise wiederherstellen lassen. Die notwendigen Einbauten - Aufzüge, Brandschutztüren, Sicherheitssperre, Beleuchtung - wurden erfreulich sensibel und dezent integriert. Als Details versetzen sie das historische Gemäuer auch optisch ins 21. Jahrhundert, ohne dessen Gesamteindruck zu beinträchtigen. Ein zusätzlicher Bürotrakt wurde als Dachgeschoss aufgesetzt - so raffiniert, dass er von außen hinter der Balustrade nicht sichtbar ist und nur von den Innenhöfen aus als Zeichen einer neuen Zeit wahrgenommen wird. Auch bei den Senatssälen wurde nicht ohne Not rekonstruiert: Wo historische Eichenholztäfelung und Stuck noch vorhanden waren, besserte man Fehlstellen aus - wo die Zerstörung zu groß war, entstand Neues in herkömmlichen Proportionen. Nur das Mobiliar wurde durchgängig von zeitgenössischen Designern entworfen, ist leichter und gefälliger geworden: Schließlich sprechen die Richter hier neues Recht. Und Otto Lessings Figur der Wahrheit, die von der Kuppel aus ihre Fackel in den Leipziger Himmel hält, sollte ohnehin zeitlos sein.

Dr. Bettina Vaupel


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Bundesverwaltungsgericht, Simsonplatz 1, 04107 Leipzig


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www.bverwg.de

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