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Wie man das Handdruckverfahren wiederentdeckte

Schillers Haus und Walters Tapeten

Tapetenwechsel im übertragenen Sinn bezeichnet den Wunsch nach Veränderung. Papiertapeten gelten von Natur aus als kurzlebig, sind nicht unvergänglich, wie Kunst es sein sollte, und auch weniger haltbar als Kunsthandwerk, Tapisserien, Möbel oder Porzellan. Ihnen haftet, weil leicht abzuziehen oder zu überkleben, etwas Flüchtiges, Vorübergehendes an.

Aber auch wenn Tapeten schnell wechselnden Moden unterworfen sind, haben sich doch hier und da historische Reste erhalten. So im Schillerhaus in Weimar. Mitte der 1980er Jahre, als die Denkmalpflege vielerorts auch Innenraumdekorationen wiederherstellen ließ, entschloss man sich, das Wohnhaus des Dichters zu restaurieren und fand überall  - hinter einem Wandschrank etwa oder einer später eingebauten Treppe verborgen - Tapetenreste. Weil Friedrich Schiller sich bei der Einrichtung und Dekoration der Wände viel Mühe gegeben und nichts dem Zufall überlassen hatte, sollten die originalen Tapeten restauriert und - wo nötig - nach vorgefundenen Resten rekonstruiert werden.


Aber dem Schillerhaus und seiner ganz individuell vom Hausherrn geplanten Ausstattung wäre man nicht gerecht geworden, wenn man die Tapetenbahnen industriell - also um vieles perfekter, aber in der Wirkung kälter - hätte herstellen lassen. Mit dem historischen Handdruckverfahren, das 1986 beinahe in Vergessenheit geraten war, würden die Empfangs-, Gesellschafts- und Arbeitszimmer des Dichters genau die Atmosphäre ausstrahlen, die Schiller zu Beginn des 19. Jahrhunderts wohlüberlegt geschaffen hatte.

Lutz J. Walter setzt ein Model auf eine Papiertapete auf. 
© ML Preiss
Lutz J. Walter setzt ein Model auf eine Papiertapete auf.

Wäre vor mehr als fünfzehn Jahren nicht der Architekt Lutz J. Walter an der Restaurierung des Schillerhauses in Weimar beteiligt gewesen, gäbe es wohl heute in Deutschland niemanden mehr, der den Handdruck von Papiertapeten beherrscht. Angeregt durch die Qualität der Schillerschen Ausstattung, begann Walter über Geschmack und Vorlieben in Briefwechseln zu forschen, historische Akten, Sachbücher und Geschäftsberichte nach Farbrezepten und Papierbeschaffenheit zu durchkämmen. Ein weites Feld, das sich dem heute in Wernigerode lebenden Restaurator eröffnete und das ihn, der inzwischen zum Spezialisten geworden ist, bis heute gefangennimmt. Bei jedem neuen Auftrag heißt es für ihn, sich in die Literatur zu versenken und darüber hinaus alte Rechnungen und Haushaltsbücher zu studieren, um wie ein Detektiv dem Aussehen, den Maßen und dem Material der Tapeten auf die Spur zu kommen. Für den konsequenten Weg, den Walter bei der Restaurierung historischer Papiertapeten geht, und für seine herausragenden Leistungen wurde er auf der Leipziger Messe "denkmal" im Jahre 2004 mit der Goldmedaille ausgezeichnet.

Die geschichtliche Entwicklung der Tapete, die Abfolge ihrer Moden und die Technik der Herstellung ist für Walter Grundlagenwissen. Ihnen musste er sich zuerst widmen, ehe er bei jedem neuen Auftrag ins Detail gehen und die meist unvollständigen Muster rekonstruieren kann. Lange Zeit war die Stilgeschichte der Papiertapete ein Stiefkind der angewandten Kunst. Sie wurde meist nur als ein Teil des Raums, als Kulisse für Wichtigeres betrachtet. Weil sich die Wirkung der Papiertapete erst gemeinsam mit dem passenden Mobiliar, den passenden Gemälden und den passenden Teppichen entfaltet, meinte man, sie vernachlässigen zu können.

Ihre Vorbilder hatte die Papiertapete in hochwertigen Wandbekleidungen wie Ledertapeten, textilen Bespannungen, Gobelins und bemalten Leinwand- oder Wachstuchtapeten. Die ersten europäischen Exemplare waren Nebenprodukte der Papierherstellung und Druckkunst, zur Verzierung von Möbeln, Schachteln und Büchern gedacht. Sie wurden auf kleinen Bogen gedruckt, die an der Wand aneinandergeklebt werden mussten. Im 17. Jahrhundert verbesserte sich die Technik, und wegen der ständig steigenden Nachfrage entwickelten sich zunächst Tapetenmanufakturen und später eine Tapetenindustrie. Erster entscheidender Schritt dazu war die Erfindung der Endlospapiermaschine im Jahre 1799. Zwischen 1830 und 1850 setzte sich die Walzendruckmaschine nach und nach durch.

Jede Tapetenbahn wird Schritt für Schritt gedruckt. 
© ML Preiss
Jede Tapetenbahn wird Schritt für Schritt gedruckt.

Sind im 15. Jahrhundert Papiere, mit denen man Wände und Decken dekoriert, noch keine eigenständige Gattung, werden in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts viele Interieurs mit Imitationen von Holzmaserung oder Holzschnitzereien verkleidet. In der Schweiz, in Holland und in Polen ahmte man zu jener Zeit gern Samt und Damast nach, weshalb der Tapete bis heute der Ruf des Zweitrangigen, des Surrogats anhängt.

Unvergleichlich raffinierte chinesische Papiertapeten, die das Leben in China illustrierten, gelangten ab dem 17. Jahrhundert nach England und setzten Maßstäbe, die die Europäer kaum je erreichten. Im fröhlich-überschäumenden Barockzeitalter kamen die Imitationen von Holzmaserungen allmählich aus der Mode, blühten die dunklen Wohnungen mit floralen Mustern auf. Naturalistische bunte Blumen, verquickt mit Vasen und Schnörkelwerk, zierten im Rokoko die Wände, und zur Hochzeit der französischen Papiertapete erreichten Arabesken, Draperien, Landschaften oder auch einfachere Muster eine unübertroffene Qualität. In Paris reagierten die Dessinateure auf den geringsten Geschmackswandel mit ständig veränderten Entwürfen. Ende des 18. Jahrhunderts brachte es der Tapetenmacher Jean-Baptiste Réveillon soweit, mit "richtigen" Künstlern gleichgestellt zu werden. Seine Firma, wie die meisten anderen französischen in Paris beheimatet, stieg zur "manufacture royale" auf. In mehr als 140 Manufakturen waren 1847 in Frankreich etwa 33.000 Arbeiter beschäftigt. Ein unternehmungslustiges, modebewusstes Bürgertum verlangte nach immer neuen Ideen der Gestaltung. Der sogenannte Irisdruck eröffnete um 1820 ungeahnte ästhetische Möglichkeiten.

Inspirationsquelle vieler Zeichner waren auch Ornamente. Jedes Land hatte sein Lieblingsvokabular, pompejanisch und etruskisch in Deutschland, neogotisch in England. Anfang 1830 fand der Klassizismus mit Imitationen von Marmor, Säulen, Pilastern, Balustraden, Architraven und Holzstatuen ein Ende, und die Tapetenindustrie drehte sich mit im Stilkarussell des Historismus. Ein Zeitgenosse monierte: "Die Wohnungen der Reichen haben sich in Kuriositätenkabinette verwandelt: Antikes, Gotisches sowie Renaissance und Louis XIII., alles erscheint durcheinandergewürfelt." Bei der Tapete gab es immer auch Dauerbrenner: Blumen, Streifen und geometrische Muster überleben fast jede Mode.

Handkolorierter Holzschnitt (1735/40) einer Papiermacherin 
© Repro
Handkolorierter Holzschnitt (1735/40) einer Papiermacherin

Mit dem "Modern Style" durch Künstler wie William Morris gelangte der Handdruck der Tapeten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch einmal zu einer Blüte. Morris wollte "Kunst durch das Volk für das Volk" herstellen, aber tatsächlich waren seine Tapeten sehr teuer und nicht sehr verbreitet.

Wenn Restaurator Walter einen Auftrag wie für die Schlösser Paretz, Rheinsberg, Sanssouci oder für die Landshuter Stadtresidenz erhält, wo er in den vergangenen Jahren schon überall Tapeten vervollständigte, muss er seine theoretischen Kenntnisse jedes Mal erweitern. Aber er liest nicht nur sämtliche Sachbücher und Quellen, die er aufstöbern kann. Seine praktische Arbeit geht noch sehr viel mehr ins Detail. Von allen zu rekonstruierenden Tapeten oder Bordüren fertigt er für jede Druckfarbe jeweils eine Zeichnung als Grundlage für das spätere Model an. Ganz kleine Tapetenreste, wie Walter sie auch im Schillerhaus von Weimar und in Jena fand, müssen vor dem Musterzeichnen ergänzt werden. Dafür zieht Walter Ornamentsammlungen zu Rate und vergleicht Tapeten aus derselben Epoche. Die fertigen Entwürfe, die immer eine komplette Mustereinheit, den Rapport darstellen, bekommt der Formstecher. Er reibt das Muster mit einem sogenannten Kritzpapier auf die Holzoberfläche des Druckmodels. Mit einem stecheisenartigen Werkzeug wird die Kontur drei, vier Millimeter tief vorgestochen. Dann setzt er die Figuren aus Messingstreifen und gezogenen Profilen in das Holz ein. Ein handgeschöpftes Papier wird nun mit diesen Modeln Stück für Stück und Farbe für Farbe per Hand vom Restaurator gedruckt.

Welch ein Aufwand! Bei einem Besuch des Schillerhauses in Weimar sieht man aber, dass er sich gelohnt hat. Mit Geduld und Akribie wurden die Wanddekorationen rekonstruiert, in die Schiller viel Interesse und Energie gesteckt hatte. Die Gestaltung seiner Wohnung in Jena hatte er sogar ausführlich mit Johann Wolfgang von Goethe erörtert. Am 22. Januar 1796 schrieb Schiller an ihn: "Darf ich Sie mit einem kleinen Auftrag belästigen? Ich wünsche 63 Ellen Tapete von schöner grüner Farbe und 62 Ellen Einfassung, welche ich ganz Ihrem Geschmack und Ihrer Farbentheorie überlasse." Und Goethe schickte Muster aus Frankfurt am Main, da zu jener Zeit Tapeten und Bordüren in Thüringen noch schwer zu haben waren.

Dr. Christiane Schillig

Weitere Infos im WWW:

www.historische-papiertapeten.de

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