April 2005

Zum künftigen Umgang mit Kirchengebäuden

Kirchen als Spekulationsobjekte?

Spätestens seit den 1980er Jahren wird bei den Kirchen diskutiert, ob und wie die große Zahl bestehender Kirchenbauten in Deutschland auch künftig zu halten ist. Angesichts schrumpfender Mitgliederzahlen und Finanzen sorgte man sich damals zuerst in West-Berlin um Erhalt und Unterhalt der Kirchen. Doch ahnte man, dass diese Probleme bald auch in den Großstädten West-Deutschlands zutage treten würden. So warnten Fachleute - lange ohne große Resonanz -, dass die Finanzierung des kirchlichen Baubestands immer weniger zu leisten sei. Bei genauerem Hinsehen zeigten sich schon da kirchliche Bauhaushalte zunehmend unterfinanziert.

Bedroht von Verkauf und Abbruch: Die Matthäuskirche in Frankfurt am Main 
© Matthias Ludwig, Marburg
Bedroht von Verkauf und Abbruch: Die Matthäuskirche in Frankfurt am Main

In der DDR musste man zu diesem Zeitpunkt längst mit bescheidenen Mitglieder- und Finanzzahlen umgehen, konnte - verschärft durch staatliche und wirtschaftliche Behinderungen - dem Verfall der Kirchen trotz vielfältiger Bemühungen immer weniger entgegenwirken. Mit "Wende" und Vereinigung trafen die Probleme zusammen, zeigen sich bis heute jedoch sehr unterschiedlich. So stehen in den alten Bundesländern aktuell immer mehr Kirchen in ihrer Nutzung, teils auch ihrem Bestand in Frage, mehren sich aus allen größeren Städten und Ballungsgebieten Berichte über Schließungen, Verkäufe, Umnutzungen oder gar Abbrüche.

Zunehmend werden solche Fragen jedoch auch in mittleren und kleineren Städten sowie in ländlichen Regionen diskutiert. Ebenso überlegen in der katholischen Kirche längst mehrere Diözesen, sich massiv von Baubeständen zu trennen. In beiden großen Konfessionen Deutschlands sind dabei vor allem Kirchen der Nachkriegszeit gefährdet - besonders dann, wenn finanzielle Engpässe, gemeindliche Fusionen und größere Sanierungsbedürfnisse zusammentreffen. So drohen hier, wie ich im Rahmen meiner umfangreichen Tätigkeit in der Beratung und Begleitung bei Um- und Neugestaltungen sowie in der Entwicklung innovativer Nutzungs- und Erhaltungskonzepte für Kirchengebäude seit vielen Jahren erlebe, schnell Verkauf oder gar Abriss. Nach Alternativen wird meist wenig ernsthaft gesucht, eine Auseinandersetzung mit den künstlerischen Qualitäten wie räumlichen Möglichkeiten dieser Bauten findet nicht statt.

Betroffen sind auch manche Kirchen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sowie in klaren Formen der Nachkriegszeit wiederaufgebaute bzw. umgestaltete ältere Bauten. Die Gemeinden überfordert diese Krisensituation oft, häufig fehlen zudem theologischer wie architektonischer Weitblick, sich nicht allein von scheinbaren finanziellen Notwendigkeiten bestimmen zu lassen, die einzig darauf drängen, schnellstmöglich Ballast abzuwerfen.

Dabei wurden in den letzten Jahren etliche zukunftsweisende, theologisch wie architektonisch anspruchsvolle Ideen und Beispiele diskutiert und umgesetzt, die allerdings noch immer viel zu wenig bekannt sind. Manche von ihnen mögen sich allein wirtschaftlich betrachtet zudem als - noch - nicht tragfähig erweisen. Hier bedarf es jedoch langfristiger Strategien, intensiver Auseinandersetzung, systematischer Auswertung und perspektivischer Fortentwicklung, anstatt eben angelaufene Ansätze, Versuche und Modelle mangels schneller Erfolge übereilt abzubrechen.

Wiederaufgebaut mit Bürgerhausfunktionen: St. Marien in Müncheberg/Mark 
© Matthias Ludwig, Marburg
Wiederaufgebaut mit Bürgerhausfunktionen: St. Marien in Müncheberg/Mark

Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob die Nutzung von Kirchen überhaupt allein betriebswirtschaftlichen Kriterien unterliegt. Vielmehr gelten dabei vielfältige, keineswegs nur finanzielle und innerkirchliche Maßstäbe. Kirchen sind keine Verfügungs- oder gar Konkursmasse, keine Immobilien wie Fabrikhallen, Wohnhäuser oder Geschäftsgebäude. Auch müsste weit tiefer nach Ursachen der Misere gesucht werden, die nicht nur in aktuellen Finanzproblemen, sondern beispielsweise auch in geschichtlichen Entwicklungen oder überkommenen Finanz- und Parochialstrukturen begründet liegen. So kann es nicht darum gehen, Kirchen möglichst schnell und unauffällig abzustoßen, sondern die Problematik weitblickend anzugehen. Zweifellos können die verfassten Kirchen ihre Bauten schon unter demografischen Gesichtspunkten künftig nicht mehr allein finanzieren - hier muss die Gesamtgesellschaft beteiligt und eingebunden werden. Dazu muss diese allerdings weit über konfessionelle Grenzen hinaus in anstehende Prozesse und Entscheidungen einbezogen und die Kirchenbauten vielfältigen Nutzungen erschlossen und geöffnet werden. Meist bedarf es hierfür keiner millionenschweren Umbauten, jedoch gesellschaftsoffener, intelligenter und phantasievoller Konzepte.

Hilfreich ist dabei ein Blick in die neuen Bundesländer, wo man angesichts nach wie vor zahlreich gefährdeter Kirchenbauten, niedriger Mitgliederzahlen, schwacher Finanzen und schwindender Fördermittel eigentlich weit mehr verzweifeln müsste. Doch halten hier Menschen in Gruppen, Fördervereinen und Initiativen, oft weit jenseits kirchlicher Strukturen, mit Phantasie und Engagement am flächendeckenden Erhalt der Kirchen fest und setzen sich für ihre Sanierung ein. Mittel und Wege - wie z.B. die Errichtung kirchlich-kommunaler Mischnutzungen und Nutzungspartnerschaften - mögen dabei zuweilen unorthodox erscheinen, bieten aber umso mehr Möglichkeiten und Chancen für Gebäude, Gemeinden und Gesellschaft.

An solch hoffnungsvolle wie zukunftsoffene Ansätze sollte man auch in den alten Bundesländern anknüpfen und verstärkt Ideen entwickeln, Kirchen zu erhalten und zu nutzen, statt sie abzustoßen. Erfahrungen in England und den Niederlanden zeigen längst, dass sich Kirche durch Aufgabe und Verkauf von Kirchengebäuden nicht "gesund schrumpft", sondern gesellschaftlich marginalisiert und öffentlich nicht mehr wahrgenommen wird. Hinzu kommt der enorme, weit über die Institution Kirche hinausgreifende kulturelle Verlust. Und schließlich sind Kirchenbauten - wie nicht erst jüngste Erkenntnisse und Erfahrungen zeigen - auf dem Immobilienmarkt selten wirklich attraktiv.

Umgenutzt von der Hochschule für Musik Saar: St. Mauritius in Saarbrücken 
© Karin Berkemann/Matthias Ludwig, Marburg
Umgenutzt von der Hochschule für Musik Saar: St. Mauritius in Saarbrücken

Gemeinden wie kirchliche Ämter und Institutionen tragen ebenso wie die Gesamtgesellschaft daher hohe Verantwortung für die Kirchengebäude, derer sie sich oft jedoch nicht zureichend bewusst sind. Um den reichen und wertvollen Bestand an Kirchen aller Epochen in die Zukunft zu retten, ist daher dringend das Bewusstsein zu schärfen und ein offensiver, gesamtgesellschaftlicher Diskurs einzuleiten. Dabei ist jeder Kirchenbau einzigartig und auch als Einzelfall zu betrachten - dies gilt besonders für die häufig "unterschätzten" Bauwerke des 20. Jahrhunderts.


Ein - nicht nur unter kirchlichen Prämissen entworfenes - Stufenmodell zum künftigen Umgang mit Kirchen könnte folgendermaßen aussehen: Erste Priorität genießt die kirchliche Nutzung, die - ohne größere bauliche Eingriffe - um (über )gemeindliche Aktivitäten erweitert wird. An zweiter Stelle können Räume für Gemeindearbeit wie andere kirchliche Dienste eingebaut werden. Als dritte Möglichkeit kommen Einzel- und Teilvermietungen von Raumteilen, weiterführend dann Mischnutzungen oder Nutzungspartnerschaften mit öffentlichen, evtl. auch privaten Partnern in Betracht.

Erst wenn sich auf diesen Ebenen keine tragfähige Lösung abzeichnet, darf zuletzt eine vollständige Nutzungsveränderung angedacht werden - unter Wahrung kirchlicher Nutzungsrechte und Verfügungsansprüche. Eine öffentliche Nutzung ist hierbei zu bevorzugen, eine - der Bauform und -geschichte entsprechende - rein private Nutzung nur zur Vermeidung eines Abbruchs denkbar. Eher kommen zukunftsoffene Zwischenlösungen wie eine vorübergehende, gesicherte Stillegung oder experimentell-öffentliche Interimsnutzungen in Frage.

Bedroht vom Abriss: Die Heiligengeistkirche in Hamburg-Barmbek 
© Karin Berkemann/Matthias Ludwig, Marburg
Bedroht vom Abriss: Die Heiligengeistkirche in Hamburg-Barmbek

<P>Wichtig sind in jedem Einzelfall transparent nachvollziehbare Entscheidungskriterien, die für alle baulichen Veränderungen zu Gunsten des Baukunstwerks wie seiner Nutzer auch denkmalpflegerische Grundsätze anwenden - insbesondere für jüngere, noch nicht unter Schutz gestellte, aber oft denkmalwürdige Bauten. Ebenso dürfen über Weiternutzung oder Abgabe eines Kirchengebäudes nicht Zufälle wie wirtschaftliche Potenz, (kirchen)politisches Geschick oder aktueller Geschmack entscheiden. Statt dessen muss Kirche, aber auch Gesellschaft Verantwortung zeigen für alle Kirchenbauten - auch und gerade dann, wenn sich die "Umnutzung" einer Kirche in letzter Instanz als unvermeidbar erweisen sollte. Denn der Abriss des Bauwerks Kirche, gleich welchen Alters, ist weder mit dem kulturellen Auftrag der Institution Kirche noch mit den kulturellen und geistigen Bedürfnissen und Verpflichtungen der Gesellschaft zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vereinbar.

Kirchen waren zu keiner Zeit lohnende Spekulationsobjekte - und werden dies auch künftig nicht sein. Stattdessen müssen für einen zukunftsfähigen Umgang mit überkommenen Kirchen vielfältige, innovative Ansätze und angemessene, tragfähige Lösungen entwickelt, erprobt und umgesetzt werden. Entsprechend lange und komplizierte Verfahren und Prozesse sind zu erwarten, interdisziplinäres, fachübergreifendes Arbeiten wird notwendig. Mehr denn je und weit über kirchliche Grenzen hinaus braucht es daher das offene Gespräch, den intensiven Austausch und die lebhafte Diskussion aller Beteiligten - von Fachleuten, Verantwortlichen, Betroffenen und Interessierten. Dies ermöglicht u.a. die kürzlich zum Thema erschienene, vom Autor dieses Beitrags redigierte Publikation "Kirchen: Zwischen Nutzung und Umnutzung" (kunst und kirche, Heft 3/2004) sowie das aktuell - gemeinsam mit der Theologin und Kunsthistorikerin Karin Berkemann eingerichtete Diskussions-Forum zur Kirchen-Nutzung (siehe Internet-Hinweise).

Matthias Ludwig

Zum Weiterlesen:

Hanke, H. H. (Hg.): Vom neuen Nutzen alter Kirchen. Leitlinien und Beispiele zum Umgang mit leeren Kirchengebäuden, hg. im Auftrag des Westfälischen Heimatbundes, Bochum 2003

Kallmeyer, L. (Bearb.): Das Erbe: Last und Chance (kunst und kirche 59,3), Darmstadt 1996

Kallmeyer, L. (Bearb.): Neues Leben in alten Mauern (kunst und kirche 63,3), Darmstadt 2000

Kirschbaum, J./Klein, A. (Bearb.): Nichts für die Ewigkeit? Kirchengebäude zwischen Wertschätzung und Altlast. Dokumentation der Tagung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (Schriftenreihe 63), Bonn 2001

Lechner, G. M./Polaczek, B. (Bearb.): Kirchen - Widmung, Nutzung, Umnutzung (das münster 56,3), Regensburg 2003

Ludwig, M. (Bearb.): Kirchen: Zwischen Nutzung und Umnutzung (kunst und kirche 67,3), Darmstadt 2004

Schwebel, H./Ludwig, M. (Hg.): Kirchen in der Stadt (Schriften des Instituts für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart - A.1/2), 2 Bände, Marburg/Lahn 1994/96

Volp, R. (Hg.): Denkmal Kirche? Erbe . Zeichen . Vision. Die öffentliche Verantwortung für ein akut gefährdetes Kulturerbe. Analysen, Modelle und Dokumentationen zur künftigen Nutzung und Finanzierung, Darmstadt 1997

Zur Person

Der Autor studierte Bauingenieurwesen, Theologie, Kunstgeschichte und ist wissenschaftlicher Assistent am EKD-Institut für Kirchenbau und kirchliche Kunst der Gegenwart in Marburg. Zahlreiche Veröffentlichungen. Wissenschaftlich und frei beratend tätig in der Entwicklung neuer Nutzungs- und Erhaltungskonzepte für Kirchengebäude.

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